Naturschutz in der Türkei Schildkröten-Schutz statt Tourismus
An der türkischen Mittelmeerküste gibt es viel Tourismus. Doch in dem kleinen Ort Cirali trotzen Naturschützer dem Hotel-Boom - denn hier legen vom Aussterben bedrohte Meeresschildkröten ihre Eier in den Sand.
Eine kleine Oase knapp 70 Kilometer südlich der Touristenhochburg Antalya: Das ist der kleine Strandort Çıralı. Der Strand dort ist Brutstätte der Caretta Caretta, einer vom Aussterben bedrohten Meeresschildkröte. Die Tiere kommen nachts an Land und legen ihre Eier in den Sand, wo sie von der Wärme der Sonne ausgebrütet werden. Freiwillige helfen und kontrollieren, dass dies in dem Naturschutzgebiet auch so bleibt.
Auf Strandpatroullie
Murat wird energisch, pfeift in seine Trillerpfeife. Es ist fast Mitternacht am Strand von Çıralı. Noch immer ist es heiß, etwa 27 Grad - an der türkischen Riviera gibt es einen Hitzerekord nach dem anderen. Doch nachts, von 21 bis 6 Uhr, dürfen die Touristen und Einheimischen hier nicht an den Strand. Denn dann kommen die Schildkröten.
Murat ist ehrenamtlicher Schildkrötenwächter der Kooperative Çıralı, sein blaues Polo-T-Shirt mit dem Tier und ein amtlicher Ausweis um den Hals zeigen das. Nun ist er unterwegs zu einer Gruppe Männer, die am Strand Bier trinkt und sich laut unterhält. Bestimmt aber freundlich erklärt er ihnen, dass der Strand bis Sonnenaufgang gesperrt ist. Und weist auf die vielen Schilder an den Eingängen hin. Ohne viel Widerspruch verlassen die Männer den Strand, denn sie wissen offenbar, wo sie sind.
Naturschützer beobachten eine Schildkröte am Strand. Die Caretta Caretta-Schildkröte kehrt zur Eiablage an den Ort ihrer eigenen Geburt zurück.
Status des Naturschutzgebiets hängt an Schildkröten
Doch nicht nur die Menschen beschützen die Schildkröten, sondern auch umgekehrt. Çıralı ist ein abgelegener Ort mit einem wunderschönen Strand, den man von der Hauptstraße über eine lange serpentinenartige Straße erreicht.
Der Ort gehört offiziell zum Nationalpark Beydağları, der sich über knapp 35 Hektar bis ins Hinterland erstreckt. Çıralı ist bisher von großen Hotelprojekten und Massentourismus wie in Antalya verschont geblieben. Man betreibt sanften Tourismus, ohne Lärm, ohne Partys. Den Status eines Nationalparks behält die Bucht aber nur, solange die Zahl der Nester am Strand nicht unter 60 pro Jahr fällt. In den letzten Jahren schwankten die Zahlen stark - mal waren es 140, mal nur knapp über 60. Deshalb ist die Arbeit von Freiwilligen wie Murat so wichtig.
Eine frisch geschlüpfte Schildkröte, die sich auf den Weg zum Meer macht. Der Naturschützer erzählt, dass nur etwa zwei von 1.000 Jungtieren überleben.
Nachts am Strand
Murat geht den etwa drei Kilometer langen Strand ab. Am Ende seines Kontrollgangs trifft er Mustafa. Der kümmert sich seit 25 Jahren um Schildkröten. In Çıralı ist er eine Legende. Denn Investoren wollten hier ein Golfplatz mit Hotel bauen. Doch mit Hilfe eines Anwalts verhindert Mustafa das. Seitdem ist Çıralı ein Schildkrötenparadies. "Die Arbeit hier am Strand ist pure Leidenschaft für mich", sagt Mustafa.
Das Muttertier legt Eier
Nun wird es spannend - heute könnte es so weit sein. Die Ansage: absolute Ruhe. Und kein Licht. Dann: Eine Mutterschildkröte kommt. Für das etwa 200 Kilogramm schwere Tier ist es harte Arbeit: Aus dem Meer hinaus, etwa 20 Meter hinauf in den weichen Sand. Dann die Eier ablegen und verbuddeln. Dabei ist das Tier in Trance, sehr anfällig, bemerkt nichts um sich herum. Danach schleppt es sich erschöpft zurück ins Meer.
Bis zu 100 Eier legt eine Schildkröte in ihr Nest. Nach etwa 50 Tagen in der Wärme des Sandes können die Schildkrötenbabys schlüpfen und ihre ersten Schritte in Richtung Meer machen.
Nach der Eiablage und dem Marsch am Strand sind die bis zu 200 kg schweren Tiere erschöpft.
Schnelle Schritte Richtung Meer
Mustafa, Murat und andere Helfer haben alle Schildkrötennester sichtbar markiert. Neugierige sollen so davon abgehalten werden, die Nester zu zerstören. Am Morgen und in der Nacht werden diese Nester kontrolliert, neue Entwicklungen penibel festgehalten. Es gibt auch eine Nachtwache, die jede Bewegung meldet.
Und dann kommt spät nachts die Meldung: Aus den Eiern in einem Nest schlüpfen Babys. Sie sind etwa zwei Zentimeter groß, vorsichtig stecken sie ihre Köpfe aus dem Sand und verharren dann, offenbar erschrocken. Jetzt braucht es Geduld. Nach einiger Zeit macht sich eine Mini-Schildkröte auf den Weg.
Wenn die Jungtiere geschlüpft sind, müssen sie schnell zum Wasser, sonst droht Gefahr etwa durch Raubvögel.
Nur zwei von 1000 überleben
In dieser Nacht herrschen perfekte Bedingungen für die Babys. Denn der winzige Nachwuchs ist sehr verletzlich. Erreichen die Tiere das Wasser nicht vor Sonnenaufgang, drohen der Hitzetod und die Gefahr durch hungrige Vögel, aber auch durch rücksichtslose Urlauber. Die kleine Schildkröte aber ist fit, krabbelt über Steine, verliert kurz die Orientierung, gibt aber nicht auf. Nach 15 Minuten hat sie das Meer erreicht und lässt sich einfach wegspülen.
Einige der anderen haben jedoch Schwierigkeiten. Kurz vor dem Morgengrauen sammeln die Helfer sie ein und bringen sie in Sicherheit. Sie wollen ihnen eine zweite Chance geben in der nächsten Nacht. Mustafa erzählt uns, dass nur etwa zwei von 1000 Jungtieren überleben. Das sei halt die Natur, sagt der Tierschützer.
Schaffen die kleinen Schildkröten den Weg bis ins Meer nicht, sammeln Helfer die Tiere kurz vor dem Morgengrauen ein und bringen sie in Sicherheit. Sie bekommen in der nächsten Nacht eine neue Chance.
Ewige Treue
Was wichtig für Murat und Mustafa und auch das Naturschutzgebiet ist: Die Caretta Caretta Schildkröte kehrt zur Eiablage an den Ort ihrer eigenen Geburt zurück. Das heißt: Je mehr Babys schlüpfen und ihren Weg zum Meer finden, desto mehr Muttertiere werden irgendwann selbst nach Çıralı kommen und ihre Eier ablegen. So hoffen Murat und Mustafa und alle Naturschützer vor Ort dieses Gebiet mit seiner Vegetation und seiner Schildkröten-Population langfristig erhalten zu können.
Bis zu 100 Eier legt eine Schildkröte in ihr Nest. Nach etwa 50 Tagen in der Wärme des Sandes können die Schildkrötenbabys schlüpfen und ihre ersten Schritte in Richtung Meer zu machen.