Studie in Deutschland "Depression betrifft die ganze Familie"
Fast jeder Zweite in Deutschland ist an Depressionen erkrankt oder als Angehöriger mitbetroffen. Trotzdem gibt es noch immer viele Missverständnisse rund um die Krankheit, wie aus dem Deutschland-Barometer Depression hervorgeht.
In Deutschland sind 45 Prozent der Menschen direkt oder indirekt von Depression betroffen. Zu diesem Ergebnis kommt das Deutschland-Barometer Depression, das die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention in Leipzig vorgestellt hat.
24 Prozent seien selbst erkrankt, 26 Prozent als Angehörige mitbetroffen. Rund drei Viertel der Angehörigen beschrieben die Erkrankung als große Belastung für das Familienleben. "Depression betrifft die ganze Familie", sagte der Stiftungsvorsitzende Ulrich Hegerl. Daher sei es sinnvoll, Angehörige in die Behandlung einzubinden und zu informieren. Nur ein knappes Drittel der Befragten (28 Prozent) gab demnach an, noch nie mit Depressionen in Berührung gekommen zu sein.
Noch immer viele Irrtümer
Nach Angaben der Stiftung wird die Diagnose gestellt, wenn über zwei Wochen hinweg oder länger mindestens zwei der drei Hauptsymptome (Verlust von Interesse und Freude, depressive Stimmung, Antriebsmangel) und zusätzlich mindestens zwei Nebensymptome vorliegen (darunter zum Beispiel Schlafstörungen, Suizidgedanken, Appetitminderung).
Die Krankheit tritt meist in wiederkehrenden Episoden auf. Depression ist eine ernsthafte Erkrankung, die das Denken, Fühlen und Handeln der Betroffenen tiefgehend beeinflusst und erhebliches Leid verursacht.
Es gebe wirksame Behandlungsmöglichkeiten, aber auch zahlreiche Missverständnisse und "diagnostische und therapeutische Defizite", mahnte der Stiftungsvorsitzende Ulrich Hegerl. So überschätzten viele Menschen den Einfluss äußerer Faktoren, die zwar eine depressive Phase auslösen könnten, aber nicht deren Ursache seien. 94 Prozent schätzten jeweils Schicksalsschläge, Probleme in der Familie oder Stress als bedeutsam oder sehr bedeutsam für das Aufkommen einer Depression ein. Auch in Sozialen Medien kursierten entsprechende Vorstellungen.
Veranlagung ist entscheidend
Entscheidend sei jedoch die Veranlagung, erklärte der Experte. So hätten 34 Prozent der Befragten mit einer diagnostizierten Depression ebenfalls erkrankte Familienmitglieder; bei Befragten ohne diese Diagnose waren es 13 Prozent.
46 Prozent der befragten Erkrankten erklärten, die Familie gebe ihnen das Gefühl, nicht allein zu sein. Bei 41 Prozent haben Familienmitglieder eine Veränderung bemerkt und die Betroffenen darauf angesprochen; 38 Prozent wurden von Angehörigen ermutigt, sich professionelle Hilfe zu suchen. Die Familie sei zudem für ein gutes Drittel (34 Prozent) eine Stütze bei der Bewältigung des Alltags.
"Einfach da sein" hilft auch
"Morgens aufstehen, den Geschirrspüler ausräumen oder einen Arzttermin vereinbaren - all diese Tätigkeiten können in der Depression die größte Herausforderung sein", sagte Hegerl. Es sei wichtig zu wissen, dass Betroffene sich eben nicht gehen ließen, sondern dass ihnen krankheitsbedingt Antrieb und Hoffnung fehlten.
Häufig zögen sich depressiv erkrankte Menschen von anderen zurück, "weil ihnen alles zu viel wird", sagte der Forscher. Dies könne zu Missverständnissen und Konflikten führen. Jede zweite Familie berichte jedoch im Rückblick, dass sich die Beziehung zueinander vertieft oder verfestigt habe. Wenn jemand eine Behandlung zunächst ablehne, helfe nur Geduld, fügte Hegerl hinzu.
Viele Beratungsangebote
Die Studie unter 5.000 Personen zwischen 18 und 69 Jahren umfasste den Angaben zufolge auch zwei offene Fragen. Auf die Frage, was Betroffenen am meisten geholfen habe, lautete die häufigste Antwort: "einfach da sein". Als eher kontraproduktiv beschrieben es die meisten, wenn nahestehende Menschen die Depression nicht als Erkrankung betrachtet oder Druck ausgeübt hätten.
Im Fall einer Erkrankung oder eines Verdachts auf Depression ist ein Gespräch mit einem Arzt oder einem Psychotherapeuten nach Angaben der Deutschen Depressionshilfe unverzichtbar. Zusätzlich gibt es kostenlose Online- oder Telefonberatungen, Selbsthilfegruppen und Online-Foren.