Diskussion über Ausstieg Hat Atomkraft (doch) eine Zukunft?
Seit knapp zwei Jahren wird in Deutschland kein Atomstrom mehr produziert. Zu wenig Strom gibt es deswegen nicht - und teurer ist er auch nicht geworden. Trotzdem nimmt das Thema im Wahlkampf wieder an Fahrt auf.
Kaum eine Bürgerbewegung konnte sich in Deutschland so lange halten, wie die Anti-Atomkraft-Bewegung. Aus der eigenen Sicht hat sich das Durchhalten gelohnt: Am 15. April 2023 ging in Deutschland das bislang letzte Atomkraftwerk vom Netz.
Doch die Atomkraft hat auch starke Fürsprecher. Und andere Länder wie Frankreich, die USA und China setzen stark auf Kernkraftwerke. Auch in Deutschland mehren sich Stimmen, etwa von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, in Deutschland wieder die Atomkraft einzuführen. Welches der richtige Weg ist - und ob sich ein Wiedereinstieg für Deutschland lohnen würde - lässt sich abschließend kaum sagen.
Brauchen wir Atomstrom, um die Energiesicherheit zu gewährleisten?
Seit dem Atomausstieg ist Deutschland vom Nettoexporteur zum Nettoimporteur in Sachen Strom geworden. Wir verbrauchen mehr Strom als wir produzieren. Das hat aber nicht nur mit dem Atomausstieg zu tun. In der gleichen Zeit sank auch die Produktion von Strom aus fossilen Brennstoffen und der Ausbau von Wind- und Solarenergieprojekten. Außerdem erhöhte sich der Verbrauch nach der Coronapandemie wieder deutlich.
Je nachdem, wie sich der Ausbau der Erneuerbaren weiterentwickelt, könnte Deutschland bis spätestens Ende des Jahrzehnts wieder mehr Strom produzieren als verbrauchen.
Ein Argument gegen die Atomkraft ist auch, dass der Brennstoff Uran häufig aus Russland stammt und wir uns so wieder abhängig machen würden. Allerdings sind wir bei anderen Formen der Energie auch abhängig, etwa bei der Gewinnung von Solarenergie. Die Technik dafür stammt überwiegend aus China. Um den Verlust eines solchen Partners ausgleichen zu können, kann es sinnvoll sein, auf mehrere zu setzen.
Würde es sich lohnen, wieder in die Atomenergie einzusteigen?
Kurzfristig jedenfalls nicht. Die alten Kraftwerke wieder in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen wäre vermutlich teurer als Gaskraftwerke mit der gleichen Leistung neu zu bauen. Wären die Kraftwerke dann am Netz, würden sie den Strompreis kaum senken.
Außerdem gibt es kaum Quellen, in denen Kernenergie günstiger ist als Strom aus erneuerbaren Energien. Durch den rasanten Ausbau ist dieser in den vergangenen 20 Jahren deutlich günstiger geworden, während der Bau von Atomkraftwerken deutlich teurer geworden ist.
Eine häufig zitierte Studie des Fraunhofer Instituts für Solarenergie in Freiburg gibt Preisspannen für die verschiedenen Energiearten an. Erneuerbare Energien liegen dabei im Schnitt unter 10 Cent pro erzeugter Kilowattstunde, Kernkraft zwischen 13 und knapp 50 Cent. Eine Überschneidung gibt es nur bei privat betriebenen Photovoltaikanlagen. Da dieser aber direkt vom Erzeuger verbraucht wird, kann das für Privatpersonen eine sehr günstige Form sein, Strom zu beziehen.
Eine Studie der ETH-Zürich für das Schweizer Bundesamt für Energie kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass Schweizer Kernkraftwerke heute schon bei den Stromentstehungskosten mit erneuerbaren Energien mithalten können und durch den Einsatz neuer Technologien noch günstiger werden könnten. Experten gehen davon aus, dass das in Deutschland nur durch staatliche Förderungen möglich wäre.
Die unterschiedlichen Angaben entstehen dadurch, dass unterschiedliche Dinge einberechnet werden können. Betrachtet man etwa nur die Betriebskosten einer Anlage oder auch die Herstellung, Entwicklung der Technologie und Entsorgung? Dahinter können auch Interessen der betreffenden Quelle liegen.
Welche Zukunft hat Atomenergie?
In vielen Ländern werden Atomkraftwerke gebaut, und die Technologie wird ständig weiterentwickelt. "Generation IV" werden die Reaktoren der Zukunft genannt, die zum Teil grundlegend andere Technologien einsetzen, zum Beispiel Metalle oder Salze als Kühlmittel statt Wasser. Damit wären Katastrophen wie in Tschernobyl oder Fukushima physikalisch unmöglich.
Außerdem geht der Trend in Richtung kleinerer Reaktoren, genannt SMR (small modular reactor, kleine, modulare Reaktoren). Die sollen in Fabriken vorgefertigt und schnell an Ort und Stelle aufgebaut werden können. Kernkraftwerke würden so von teuren Einzelprojekten zu relativ günstigen Massenprodukten.
Big-Tech-Unternehmen aus den USA haben bereits Verträge mit Herstellern und Betreibern von Kernkraftwerken geschlossen, um den immer steigenden Strombedarf großer Datencenter zu decken. Vor allem durch den Hype um künstliche Intelligenz ist der Strombedarf in den letzten Jahren noch mal deutlich gestiegen.
Experten gehen davon aus, dass große Datencenter in Zukunft zum Teil so viel Strom benötigen könnten, dass ein einzelnes einen oder mehrere SMR komplett für sich alleine beanspruchen könnte. Für große Unternehmen könnte das eine attraktive Lösung werden, um sich von Energieanbietern unabhängig zu machen.
Auf Dauer könnte Atomenergie aber auch nur eine Übergangstechnologie sein und überflüssig werden, wenn genug Strom aus Erneuerbaren produziert und gespeichert werden kann oder Fusionsenergie nutzbar wird.
Wie sicher sind Atomkraftwerke?
Die Sicherheitsbilanz von Atomkraft sieht nach den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima nicht gut aus. Allerdings täuscht dieser Eindruck. Nimmt man selbst die pessimistischsten Schätzungen zu Todesopfern dieser Katastrophen als Grundlage, ist Atomkraft immer noch um das 100- bis 1.000-fache weniger tödlich als fossile Brennstoffe.
Tatsächlich bewegt sich Atomkraft, was die Sicherheit angeht, insgesamt im Bereich der erneuerbaren Energien. Berechnet man Katastrophen mit ein, ist die Wasserkraft sogar tödlicher als Atomkraft. Beim Bruch einer Stauanlage können Zehn- oder sogar Hunderttausende Menschen sterben.
Würde ein Wiedereinstieg nicht auch mehr radioaktiven Abfall bedeuten?
Ja, aber das Problem würde sich dadurch nicht wesentlich vergrößern. In Deutschland gibt es derzeit 27.000 Kubikmeter hochradioaktiven Abfall, der in einem Endlager untergebracht werden muss. Das entspricht einem Würfel mit einer Kantenlänge von 30 Metern.
Selbst wenn sich diese Menge noch deutlich vergrößern würde, würde das die Standortsuche für ein Endlager nicht schwieriger machen und auch die nötige Technologie, das Material sicher zu verwahren, würde die gleiche bleiben. Das Endlager müsste aber natürlich größer werden und wäre dadurch auch teurer, aber eben nicht doppelt so teuer bei doppelter Größe.
Reaktoren der Generation IV sind außerdem effizienter und können aus der gleichen Menge Brennstoff mehr Energie produzieren. Manche Reaktortypen könnten Brennstoff sogar so weit verwerten, dass am Ende nur noch relativ kurzzeitig strahlender Abfall entsteht. Zwar immer noch im Bereich von mehreren hundert, aber nicht mehr im Bereich von einer Million Jahren.
Als Zwischenprodukt entsteht bei diesen Reaktoren jedoch waffenfähiges Plutonium. Die Technologie müsste also streng reguliert werden.