
Abkommen in Nahost Was wird aus den Geiseln und der Waffenruhe?
Hält die Waffenruhe im Gazastreifen oder wird dort bald wieder gekämpft? Im Streit um die Freilassung der Geiseln stellte Israels Premierminister Netanjahu der Hamas nun ein Ultimatum. Was bedeutet das alles?
Was hat die Hamas vor?
Die islamistische Hamas will auch nach dem verheerenden Krieg im Gazastreifen, den sie mit ihrem Massaker in Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst hat, an der Macht bleiben. Dazu will die Terrororganisation zunächst ein dauerhaftes Ende des jüngsten Krieges erreichen. Die Geiseln bleiben dabei ihr wichtigstes Druckmittel.
Zuletzt hatten die Islamisten jedoch die - in der Waffenruhevereinbarung zugesagte - Freilassung weiterer Geiseln bis auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Dies verzögert Verhandlungen über die zweite Phase der Waffenruhe-Vereinbarung, die einen dauerhaften Frieden sichern soll. Viele Analysten sehen das Aussetzen des Geisel-Deals als Versuch der Organisation, ihre Verhandlungsposition bei den anstehenden Gesprächen zu verbessern.
Es gibt aber auch Anzeichen, dass die Hamas zum Einlenken bereit sein könnte. Ein Neubeginn der Kämpfe wäre eine Katastrophe für die leidenden Zivilisten im Gazastreifen, von denen viele gerade erst in ihre weitgehend zerstörten Wohngebiete im Norden zurückgekehrt sind.
Was wollen die Israelis?
Am Abend stellte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu der Hamas ein Ultimatum: Sollten bis Samstagmittag nicht die Geiseln freilassen, betrachte Israel die Waffenruhe als beendet. Das Militär werde dann wieder in den Gazastreifen einrücken und "intensive Kämpfe" aufnehmen, bis die Terrororganisation zerstört sei.
Der israelische Experte Avi Melamed spricht von einem "Nervenkrieg" zwischen Israel und der Hamas. Netanjahu könnte sich auch aus innenpolitischen Erwägungen gezwungen sehen, den Krieg gegen die Hamas wieder aufzunehmen. Sollte er einer zweiten Phase der Waffenruhe-Vereinbarung zustimmen, würde seine rechtsreligiöse Koalition vermutlich zerbrechen - denn die ultrarechten Partner fordern eine Fortsetzung der Kämpfe gegen die Hamas.
Neuwahlen wären für den Regierungschef jedoch gegenwärtig katastrophal. Er könnte es sich nicht leisten, dass seine Koalition kollabiert, "wenn die Öffentlichkeit ihn dafür verantwortlich macht, dass die Geiseln so lange in Gefangenschaft geblieben sind, und direkt nach dem Schock über den Zustand der drei letzten freigelassenen Geiseln", sagte Melamed. Eine Mehrheit der Israelis glaube, "dass er die Geiseln auf dem Altar seiner Herrschaft geopfert hat".
Letztlich strebt Israel zwei Ziele an, die sich gegenseitig weitgehend ausschließen: die Zerstörung der Hamas und die Freilassung der restlichen Geiseln. Die extrem schlechte Verfassung der zuletzt freigelassenen Geiseln und Berichte über die grausamen Umstände der Geiselhaft zeigen dabei, wie sehr die Zeit drängt. Israel geht davon aus, dass von 76 verbliebenen Geiseln in der Gewalt der Hamas höchstens noch 40 am Leben sind.
Welche Rolle spielen Trumps Drohungen?
Die Forderung von US-Präsident Donald Trumps nach einer schnellen Geisel-Freilassung und seinem Plan einer Umsiedlung von rund zwei Millionen Palästinensern drohen das über viele Monate mühsam ausgehandelte Abkommen über den Haufen zu werfen.
Sollte die Hamas nicht alle verbliebenen 76 Geiseln bis Samstagmittag freilassen, sei er dafür, dass Israel die Waffenruhe beende - und es werde "die Hölle losbrechen", so Trump. Den US-Verbündeten Jordanien und Ägypten drohte er mit finanziellen Einbußen, sollten diese die Aufnahme von Palästinensern verweigern. Welche konkreten Konsequenzen die Hamas von US-Seite zu befürchten hätte, ließ Trump offen. "Die Hamas wird herausfinden, was ich meine", antwortete er auf Nachfrage.
Die Terrororganisation wies die Forderung Trumps umgehend zurück. Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri sagte, die Waffenruhe mit Israel sei der einzige Weg, die Freilassung der Geiseln zu gewährleisten. Eine Sprache der Drohungen sei fehl am Platz, sie verkompliziere die Dinge nur.
Ein Journalist der israelischen Zeitung Haaretz schrieb, Trumps dramatische Äußerungen könnten entweder "ein Wendepunkt sein, der zur raschen Freilassung aller Geiseln in einem großen Deal führt, oder ein Wendepunkt, der zum massenhaften Tod von Geiseln und zur Wiederaufnahme des Krieges führt".
Was sagen Deutschland und die UN?
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock warnte vor einem Ende der Waffenruhe. Diese hänge "am seidenen Faden", schrieb Baerbock im Onlinedienst Bluesky. Es sei unverantwortlich, "dass die Hamas leichtfertig den Deal aufs Spiel setzt". Und auch die israelische Regierung und die USA müssten alles dafür tun, "dass wir in Phase 2 kommen und zu einer Perspektive für echten Frieden", forderte die deutsche Außenministerin.
UN-Generalsekretär António Guterres forderte die Hamas auf, mit den Freilassungen der Geiseln fortzufahren, um weitere Kämpfe zu verhindern. "Beide Seiten müssen ihren Verpflichtungen des Waffenruhe-Abkommens nachkommen und ernsthafte Verhandlungen wiederaufnehmen", sagte er. Trumps erneute Forderung, die Palästinenser müssten den Gazastreifen verlassen, bezeichneten die Vereinten Nationen als einen Verstoß gegen internationales Recht.
Würden Jordanien und Ägypten Palästinenser aufnehmen?
Dass beide Staaten der Forderung Trumps nachgeben, gilt als nahezu ausgeschlossen. Nach Einschätzung des Islamwissenschaftlers Simon Fuchs von der Hebräischen Universität in Jerusalem stellt der Vorschlag Trumps eine existenzielle Bedrohung für die Regierungen der beiden Länder dar.
Für König Abdullah II. von Jordanien stünden das Fortbestehen der Monarchie in seinem Land und der Friedensvertrag mit Israel auf dem Spiel. Etwa die Hälfte der Einwohner des kleinen Landes hat palästinensische Wurzeln, was schon jetzt zu Spannungen führt. Mehr als einmal musste sich das Königshaus gegen Umsturzversuche palästinensischer Militanter wehren.
Ägyptens Präsident Abdel-Fattah al-Sisi müsste befürchten, dass die Aufnahme einer großen Zahl palästinensischer Flüchtlinge aus Gaza zu einer Stärkung von Extremisten auf der Sinai-Halbinsel führt, die von dort aus Israel angreifen könnten. Angesichts der wirtschaftlich desolaten Lage des Landes dürfte al-Sisi aber auch die Sorge umtreiben, dass sich die Stimmung im Land insgesamt gegen ihn wendet.
Sowohl Ägypten als auch Jordanien sind stark von der finanziellen Unterstützung Washingtons abhängig. Zusammen mit Israel gehören sie zu den drei größten Empfängern von US-Unterstützung.
Und was könnten Trumps Forderungen für die Region bedeuten?
Der Einfluss der USA auf den Nahen Osten könnte nach Einschätzung von Islamwissenschaftler Fuchs durch Trumps Vorgehen weiter schrumpfen. Die arabischen Staaten seien angesichts der gesunkenen Bedrohung aus dem Iran nicht mehr so stark auf die USA angewiesen wie noch zu Trumps erster Amtszeit. Die beiden Rivalen um die Vorherrschaft in der Golf-Region, Saudi-Arabien und der Iran, haben sich zuletzt sogar angenähert.
Für die von Trump angestrebte Normalisierung der Beziehung zwischen Israel und Saudi-Arabien sind die Umsiedlungspläne sowie die israelische Ablehnung eines palästinensischen Staates keine gute Voraussetzung.