Kritik an Israels Einsatz "Krankenhäuser sind keine Schlachtfelder"
Nach dem israelischen Militäreinsatz in der Al-Schifa-Klinik in Gaza hat der WHO-Chef das Eindringen als "inakzeptabel" bezeichnet. Regierungen in Europa mahnten an, das Völkerrecht zu achten. Derweil erreichte ein Lkw mit Treibstoff den Gazastreifen.
Nach der Erstürmung des größten Krankenhauses im Gazastreifen durch die israelischen Streitkräfte gibt es viel internationale Kritik. "Israels militärisches Eindringen in das Schifa-Krankenhaus in der Stadt Gaza ist völlig inakzeptabel", sagte der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, in Genf. "Krankenhäuser sind keine Schlachtfelder." Patienten und Krankenhauspersonal müssten geschützt sein, selbst wenn Krankenhäuser für militärische Zwecke genutzt würden.
Sorge um Sicherheit von Patienten und Personal
Die Vereinten Nationen und das Rote Kreuz zeigten sich äußerst besorgt um die Sicherheit von Patienten, Flüchtlingen und medizinischem Personal in der Klinik. UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths äußerte sich im Online-Dienst X "entsetzt" über das Vordringen von Soldaten in die Klinik. Der Schutz von Neugeborenen, Patienten, medizinischem Personal und allen Zivilisten müsse Vorrang haben.
Griffiths legte einen Zehn-Punkte-Plan für Gaza vor, dessen Kernpunkt eine humanitäre Feuerpause ist. Es seien kontinuierliche Hilfslieferungen nötig. Er appellierte an Israel, weitere Grenzübergänge dafür zu öffnen.
In einer an die Nachrichtenagentur AFP in Genf übermittelten Erklärung hob das Rote Kreuz hervor, es müssten "alle Maßnahmen" ergriffen werden, um jegliche Konsequenzen für Kranke, Zivilisten und medizinisches Personal zu vermeiden.
"An Regeln des humanitären Völkerrechts halten"
Auch die norwegische Regierung kritisierte die Kämpfe direkt an und in Krankenhäusern im Gazastreifen scharf. Insbesondere die Erstürmung der Al-Schifa-Klinik "geht zu weit und kann nicht einfach hingenommen werden", erklärte Außenminister Espen Barth Eide. Dadurch werde die "ohnehin schreckliche humanitäre Lage" in dem Palästinensergebiet weiter verschärft.
Seine Regierung habe wiederholt betont, dass alle Kriegsparteien dazu verpflichtet seien, "sich an die Regeln des humanitären Völkerrechts zu halten und die vom Konflikt betroffene Zivilbevölkerung zu schützen", erklärte Barth Eide weiter. Dies gelte auch für die radikal-islamistische Hamas. Der Minister erinnerte erneut daran, dass es nach dem humanitären Völkerrecht verboten ist, Zivilisten gezielt anzugreifen, als Geiseln zu nehmen oder als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen.
Frankreich zeigte sich "sehr besorgt". Für Israel bestehe die "absolute Notwendigkeit, internationales humanitäres Recht zu achten", betonte das Außenministerium in Paris. Dazu gehörten der Schutz von Krankenhäusern und "jederzeit und überall die klaren Grundsätze der Unterscheidung, der Notwendigkeit, der Verhältnismäßigkeit und der Vorsicht". Die palästinensische Bevölkerung dürfe "nicht den Preis für die Verbrechen der Hamas zahlen", betonte das Ministerium.
Die Bundesregierung äußerte sich eher zurückhaltend. Regierungssprecher Steffen Hebestreit hob in Berlin hervor, "dass es keine Bombardierung des Krankenhauses gegeben hat". International sei ein "weniger einschneidendes" Vorgehen gefordert worden. Er sehe nun, dass Israel "auch auf diese Mahnungen aus der internationalen Gemeinschaft zu reagieren scheint".
Jordanien warf dem UN-Sicherheitsrat vor, mit seinem Schweigen die "Barbarei" der Erstürmung des größten Krankenhauses im Gazastreifen durch die israelische Armee zugelassen zu haben. Der Rat müsse handeln.
Israel vermutet Terroristen auf Klinikgelände
Die israelische Armee hatte in der Nacht zum Mittwoch das Al-Schifa-Krankenhaus gestürmt. In dem Krankenhaus finde ein "präziser und gezielter" Militäreinsatz statt, teilte die Armee mit. Die Klinik sei nach Hamas-Terroristen durchsucht worden. Israel vermutet, dass die Miliz dort ein Kommandozentrum eingerichtet hat - eine Annahme, die auch von den USA geteilt wird. Am Abend zogen sich die Soldaten nach Angaben eines mit der Nachrichtenagentur AFP zusammenarbeitenden Journalisten wieder aus dem Klinikgelände zurück. Die von der radikalislamistischen Hamas kontrollierten Behörden in Gaza bestätigten den Armeeeinsatz.
Nach dem Großangriff der Hamas am 7. Oktober auf Israel, bei dem die Islamisten israelischen Angaben zufolge etwa 1.200 Menschen brutal getötet und rund 240 weitere in den Gazastreifen verschleppt hatten, hatte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu die Zerschlagung der Palästinensermiliz angekündigt, die seit 2007 den Gazastreifen kontrolliert. Dies bekräftigte er auch nach der Erstürmung der Klinik. Israel werde sicherstellen, dass es "keinen sicheren Ort" mehr für die Hamas im Gazastreifen geben werde.
UN-Hilfswerk: Treibstofflieferung nicht ausreichend
Derweil erreichte das erste Mal seit Beginn des Kriegs ein Lkw mit Treibstoff den Gazastreifen. Er fuhr von Ägypten aus über den Grenzübergang in Rafah. Das berichten ägyptische Medien. Der Treibstoff werde an die Vereinten Nationen geliefert, um den Transport von Hilfsgütern zu erleichtern, nachdem die Lastwagen in dem palästinensischen Gebiet wegen Treibstoffmangels stillstünden, hieß es von ägyptischer Seite.
Trotz dieser ersten Lieferung herrscht nach UN-Angaben im Gazastreifen weiterhin ein dramatischer Treibstoffmangel. Die heute von Israel zugelassene Lieferung von rund 23.000 Litern Dieselkraftstoff decke neun Prozent dessen, was "täglich zur Aufrechterhaltung lebensrettender Maßnahmen" benötigt werde, erklärte Thomas White, Gaza-Direktor des UN-Flüchtlingshilfswerks für die Palästinenser (UNRWA), auf der Plattform X.
UNRWA warnt vor akutem Wassermangel
Das UNRWA warnte angesichts fehlenden Treibstoffs vor einem akutem Mangel an sauberem Wasser im Gazastreifen. "Bis zum Ende dieses Tages werden rund 70 Prozent der Menschen in Gaza kein sauberes Wasser haben", teilte UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini mit.
Zentrale Versorgungseinrichtungen wie Wasserentsalzungs- und Abwasseraufbereitungsanlagen seien eingestellt worden. Lazzarini verwies in der Mitteilung auf die Lieferung von rund 23.000 Liter Treibstoff in den Gazastreifen, die Israel zuvor genehmigt hatte. Allerdings durfte der Treibstoff demnach nur für die Lastwagen der Vereinten Nationen verwendet werden, aber nicht etwa für die Aufbereitung von Wasser, hieß es.