Rechtsstaatlichkeit in Polen Die Reform der Reform
Eine neue, liberale Regierung in Polen wird vor der Aufgabe stehen, das Justizsystem so zu reformieren, dass es wieder europäischen Standards entspricht. Doch wie kann sie das schaffen, ohne selbst die Regeln zu brechen?
Wenige Tage nach der Wahl in Polen reiste Donald Tusk nach Brüssel. Der liberale Oppositionskandidat wird aller Wahrscheinlichkeit nach Polens nächster Regierungschef und wollte schon vorverhandeln.
Denn die EU-Kommission hält über 100 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbau- und dem Kohäsionsfonds zurück. Es ist Geld, das Polen dringend braucht. Nach einem Gespräch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte Tusk, Polen werde mit "maximaler Flexibilität" in Brüssel rechnen können.
Zurückdrehen ohne Regelbruch
Doch Brüsseler Flexibilität allein wird nicht reichen. Die EU-Gelder sind gesperrt, weil die polnische Regierung mit der PiS-Partei an der Spitze über acht Jahre die Justiz derart umgebaut hat, dass der Europäische Gerichtshof und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in mehreren Urteilen zu dem Schluss gekommen sind, dass polnische Gerichte nicht mehr unabhängig arbeiten können.
Das zurückzudrehen, ohne selbst die Regeln zu brechen, wird der mutmaßlich nächsten Regierung in Warschau nicht leicht fallen.
Rückkehr zur Verfassungsmäßigkeit
Aber es ist möglich, sagt die Rechtsanwältin Sylwia Gregorczyk-Abram. Mit der Initiative "Freie Gerichte" kämpft sie seit Jahren gegen die PiS-Justizreform. Deren Kernstück war der Landesrichterrat, ein Gremium, das neue Richterinnen und Richter ernennt. Es wurde von der PiS so umgebaut, dass jetzt Politiker entscheiden, wer in den Gerichten urteilt.
"Das ist ein illegal zustande gekommenes Organ", erklärt die Rechtsanwältin. Es sei "gegen die polnische Verfassung und die Europäische Konvention für Menschenrechte". Ihre Forderung: "Der Landesrichterrat muss wieder auf verfassungsgemäße Weise berufen werden."
Berufungen rückgängig machen
Der Landesrichterrat ist aber eine Art Schaltstelle, ein Nadelöhr für das gesamte Justizsystem. Er hat in den vergangenen Jahren etliche Richterinnen und Richter vorgeschlagen, die wiederum eine Vielzahl an Urteilen gesprochen haben.
Das könne man natürlich nicht alles ungeschehen machen, meint Gregorczyk-Abram. Aber die Berufung der "Neo-Richter", wie sie in Polen genannt werden, könnte rückgängig gemacht werden. Ihre Urteile bleiben gültig, bis sie angefochten werden.
Keine politische Vendetta
Auch das Verfassungsgericht wurde von der PiS-Regierung umgestaltet. Stellen sind seitdem teilweise doppelt besetzt, die Amtszeit der Gerichtspräsidentin eigentlich seit Monaten abgelaufen. Das Gericht ist darüber in sich derart zerstritten, dass es aktuell nicht mehr handlungsfähig ist.
Zumindest die unrechtmäßig berufenen Richterinnen und Richter könnten ihre Posten verlieren, meint Sylwia Gregorczyk-Abram. Und wenn Generalstaatsanwaltschaft und Justizministerium nicht mehr, wie von der PiS eingeführt, in einer Hand sind, dann könnte man auch die Disziplinarmaßnahmen gegen unliebsame Richter schlicht einstellen.
Schwieriger werde, all das nachvollziehbar zu machen, ohne dass es wie eine politische Vendetta aussieht, erklärt Gregorczyk-Abram.
Es ist unsere Aufgabe und die Aufgabe der Politiker, das zu erklären. Zu sagen, das ist keine Blutrache, das ist nicht "wir gegen sie", und jetzt werden hier unsere Richter installiert. Denn es geht um die Umsetzung der Verfassung und der europäischen Urteile.
Auf Duda kommt es an
Noch ist das alles nur Theorie. Klar ist aber jetzt schon, dass vieles von Präsident Andrzej Duda abhängen wird. Er muss jedes Gesetz unterschreiben, hält bisher aber loyal zur PiS.
Wenn er auch kein Freund einer Reform der Justizreform sein wird, so hofft Sylwia Gregorczyk-Abram doch, dass Duda auch nicht als Blockierer der EU-Milliarden dastehen will.