Wladimir Putin bei jährlicher Pressekonferenz.

Medien in Russland Am engen Band der Zensoren

Stand: 27.11.2024 18:12 Uhr

Der Entzug der Akkreditierung von zwei ARD-Mitarbeitern in Russland folgt einem Muster. Unabhängige Medien und Journalisten stehen in Putins Russland seit Jahren unter Druck. TV-Journalisten waren die ersten, die das zu spüren bekamen.

Von Eckart Aretz, tagesschau.de

Russlands Außenministerium spricht von einer "Vergeltungsmaßnahme": Zwei ARD-Mitarbeiter, darunter der Korrespondent Frank Aischmann, müssen Russland verlassen, nachdem das Außenministerium sie aufgefordert hat, ihre Akkreditierungen zurückzugeben. Russland reagiert nach eigener Darstellung darauf, dass zwei Mitarbeiter des russischen Ersten Kanals nach eigener Darstellung Berlin verlassen müssen. Die Bundesregierung bestreitet aber, dass sie das Büro des "Perwy Kanal" habe schließen lassen.

Der Streit um die Berichterstatter lenkt den Blick auf das Verhältnis der russischen Führung zur Pressefreiheit. Die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte zeigt: Russlands Präsident Wladimir Putin hat es früh darauf angelegt, eine unabhängige Berichterstattung möglichst einzuschränken.

Kritische Medien unter Druck

Druck auf kritische Medien gehörte zu den ersten Maßnahmen, die Putins Administration ergriff, kaum, dass sie zum Jahreswechsel 1999/2000 vollends die Macht im Land übernommen hatte.

Schon in der ersten Jahreshälfte begannen die Behörden, die Redaktion des TV-Senders NTW mit Durchsuchungen zu drangsalieren. NTW gehörte damals dem Oligarchen Wladimir Gussinski, dem unter Putins Vorgänger Boris Jelzin ein erheblicher Einfluss auf den Kreml nachgesagt wurde.

Einst kritischer Journalismus

Trotz der Nähe von Gussinskis zu Jelzin stand NTW für kritischen Journalismus. Der Sender ging Fragen nach, was den zweiten Tschetschenien-Krieg im Jahr 1999 ausgelöst hatte, beschäftigte sich im Jahr 2000 mit dem Untergang des U-Bootes Kursk und verspottete Politiker in seiner legendären satirischen Sendung "Kukly" - zu deutsch "Puppen".

Damit war unter Putin bald Schluss. Die Staatsanwaltschaft nahm erst Ermittlungen wegen angeblicher finanzieller Unregelmäßigkeiten auf, dann wurde Gussinski im Frühjahr 2001 nach eigener Darstellung genötigt, seine Medienholding an den Konzern Gazprom zu verkaufen. Viele Journalisten verließen daraufhin den Sender, Gussinski sogar das Land.

NTW - ein Menetekel

Der Umgang mit NTW war ein Menetekel für die gesamte TV-Landschaft, die in den Folgejahren immer mehr in den Zangengriff genommen wurde. Nach NTW wurden andere TV-Sender auf Regierungskurs gebracht oder, wie zum Beispiel TW-6, ganz geschlossen. 2013 hielt Reporter ohne Grenzen in einem Bericht fest, der Kreml habe die landesweiten TV-Sender weitgehend unter Kontrolle gebracht. Kritische Sender wie "Doschd" würden durch ein zentralisiertes Übertragungssystem benachteiligt.

Auch die Presse bekam den staatlichen Druck immer mehr zu spüren. Die renommierte Zeitung Kommersant wurde 2006 von ihrem damaligen Besitzer, dem Oligarchen Boris Beresowski an seinen Geschäftspartner verkauft, der den Verlag bald an den Kreml-nahen Oligarchen Alischer Usmanow weiterreichte. Beresowski hatte sich mit Putin überworfen und starb 2013 in London unter nie vollständig geklärten Umständen.

Mitarbeiter des TV-Senders NTW halten eine Fahne mit dem Logo ihres Senders aus einem Redaktionsgebäude in Moskau (Russland) im April 2001

Als ihr Sender verkauft werden sollte, hielten Mitarbeiter im April 2001 aus Protest eine Fahne mit dem Logo ihres Senders aus einem Redaktionsgebäude in Moskau.

Journalisten riskieren ihr Leben

Kritische Journalisten mussten überdies um ihr Leben fürchten. Der bekannteste Fall war der der Journalistin Anna Politkowskaja, die über den Tschetschenien-Krieg und über Korruption in der Armee berichtet hatte. Sie wurde 2006 in ihrem Wohnhaus erschossen. Allein bis 2009 wurden nach Angaben von Reporter ohne Grenzen 22 Journalisten in Russland ermordet.

Gleichwohl blieben geringe Freiräume für unabhängigen Journalismus - mutmaßlich im Kalkül, dass bestimmte journalistische Angebote nur eine kleinere Zahl von russischen Bürgern erreichen würden und man diese Freiräume auch als Feigenblatt gegenüber Kritikern nutzen könne.

Radiosender wie Echo Moskwy, der TV-Sender Doschd oder die Wochenzeitung Nowaja Gazeta konnten bis zum Beginn des vollumfänglichen Krieges gegen die Ukraine weiter unabhängig berichten - der Journalist und damaliger Chefredakteur von Echo Moskwy, Alexej Wenediktow, bezeichnete sie aber schon 2017 als letzte unabhängige Medien in Russland.

Ein Etikett, das diskreditiert

Allerdings mussten sie seit 2016 damit rechnen, als "ausländische Agenten" gebrandmarkt zu werden. In dem Jahr weitete die Duma ein Gesetz auf Medien aus, das seit 2012 ermöglichte, Nicht-Regierungsorganisationen zu "ausländischen Agenten" und als "unerwünschte ausländische Organisation" einzustufen und sie im äußersten Fall zu verbieten.

2019 wurde diese Regelung auch auf Einzelpersonen ausgedehnt. Bei Doschd dauerte es bis 2021, bis es dieses Etikett bekam und fortan auch in allen eigenen Publikationen den entsprechenden Warnhinweis unterbringen musste.

Für die Einstufung war es egal, ob das jeweilige Medium seinen Sitz in Russland oder außerhalb hatte. Auch das russischsprachige Internetorgan Meduza, das seinen Sitz in Lettland hat, wurde 2021 vom russischen Justizministerium als "ausländischer Agent" registriert.

Zusätzlicher Druck seit Kriegsbeginn

Mit dem Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 endete auch die Politik der begrenzten, kontrollierten Freiheiten. Anfang März 2022 erließ die Duma ein Gesetz, das unter anderem bis zu 15 Jahre Haft für die Verbreitung von angeblichen Falschinformationen über den Krieg in der Ukraine und die russischen Streitkräfte vorsieht.

Der TV-Sender Doschd, der seit 2014 ohnehin nur noch über das Internet ausgestrahlt wurde, musste daraufhin seinen Sendebetrieb einstellen und siedelte zunächst nach Lettland über, inzwischen sendet die Redaktion aus Amsterdam. Echo Moskwy stellte einen Tag später sein Programm ein.

Nowaja Gazeta, deren Gründer Dmitri Muratow 2021 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, erschien Ende März 2022 letztmals in Moskau, die Redaktion arbeitet inzwischen von Lettland aus.

Das Internet unterliegt einer strikten Kontrolle der staatlichen Behörden. Ausländische Nachrichtenangebote wie die der BBC oder der Deutschen Welle sind gesperrt, Seiten wie Facebook und Instagram sind verboten, Angebote wie Google News werden zensiert. Anonyme Browser wie Tor werden versucht, zu blockieren.

Korrespondenten als Faustpfand

Die neuen Mediengesetze geben den staatlichen Behörden ein weiteres Mittel, um rigoros und willkürlich gegen unliebsame Berichterstattung vorzugehen - auch bei ausländischen Korrespondenten. Ein besonders drastisches Beispiel ist das des US-Journalisten Evan Gershkovich, der 2023 wegen angeblicher Spionage festgenommen und im Sommer 2024 in einem Schnellverfahren zu 16 Jahren Haft verurteilt wurde.

Nicht mal einen Monat später kam er in einem größeren Gefangenenaustausch frei - im Gegenzug wurde unter anderem der "Tiergartenmörder" Wadim Krassikow aus deutscher Haft entlassen und konnte nach Russland zurückkehren. Nach allgemeiner Einschätzung im Westen war ein solcher Deal von Anfang an das Ziel seiner Festsetzung in Russland.

Reporter ohne Grenzen führt Russland inzwischen in der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 162 von 180 Staaten. Nach Angaben der Organisation sitzen derzeit 33 Journalisten und sechs Medienmitarbeiter in Haft.