Bundestagswahl 2025
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Bundestagswahl Was bringt strategisches Wählen?
Einfach nur die Wunsch-Partei ankreuzen - oder doch lieber taktisch wählen? In den Tagen vor dem Wahlsonntag scheint das viele zu beschäftigen - nicht ohne Grund.
Strategisch wählen: In den Tagen vor der Bundestagswahl werden Internetsuchmaschinen dazu viel befragt, gerade im Wahlmonat Februar ging dazu die Fragenstatistik etwa bei Google deutlich nach oben.
Taktisch zu wählen bedeutet, eventuell von der eigenen Parteipräferenz abzuweichen und einer anderen Partei eine Stimme zu geben, um Mehrheitsverhältnisse oder Koalitionen besonders zu beeinflussen.
Diese Bundestagswahl hat dabei einige Besonderheiten im Vergleich zu früheren. Zum Beispiel sei es ungewöhnlich, dass mit FDP, BSW und Linke gleich drei Parteien um die Fünf-Prozent-Hürde liegen, sagt Wahlforscher Stefan Merz von Infratest dimap: "Das hatten wir so noch nicht." Selbst am Samstag vor der Wahl werde das Schicksal der drei kleinen Parteien damit noch nicht entschieden sein.
Durch das neue Wahlrecht ist das bisher übliche taktische Wählen mit dem sogenannten Stimmensplitting für zwei verschiedene Parteien mittels der Erst- und Zweitstimme weniger bedeutsam geworden. Denn die Zweitstimme ist noch entscheidender als zuvor: Die über die Erststimme gewählten Wahlkreisgewinner werden nur berücksichtigt, wenn der Zweitstimmenanteil ihrer Partei sie auch abdeckt.
Eine Ausnahme könnte es vom Wahlrecht her nur geben, wenn eine Partei mindestens drei Direktmandate gewinnt - dann zieht sie über die Grundmandatsklausel mit ihrem gesamten Zweitstimmenanteil auch bei einem Ergebnis unter fünf Prozent ein.
Chance auf Leihstimmen sinkt womöglich stark
Bei früheren Wahlen warb etwa die FDP um Zweitstimmen von Unionswählenden, um sicher ins Parlament zu kommen und damit als Koalitionspartner für die Union zur Verfügung zu stehen. "Leihstimmen" wurden diese auch genannt.
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz ruft hingegen dieses Mal eigens dagegen auf: Vier Prozent für die FDP seien vier Prozent verlorene Stimmen. Wenn die Zahlen so blieben, gebe es keinen Grund für Unionswähler, der FDP zu helfen, "weil es nicht für eine schwarz-gelbe Koalition reichen würde, selbst wenn die FDP über fünf Prozent käme", argumentiert Wahlforscher Stefan Merz im ARD-Interview der Woche.
"Diese Kalküle beim Stimmensplitting sind tatsächlich durch das neue Wahlrecht und die Bedingungen für Direktmandate nicht mehr eindeutig", erklärt Wahlforscher Lukas Stötzer im Gespräch mit tagesschau.de. Eher gebe es bei Wählenden ein strategisches Kalkül bezüglich der Fünf-Prozent-Hürde.
Trend zum strategischen Unterstützen der Linken
Aktuell gebe es beispielsweise den Trend bei vielen Nicht-Stammwählern, die Linke strategisch zu unterstützen, um ihr den Einzug ins Parlament zu ermöglichen. Die Partei registriert Zulauf von SPD- und Grünen-Anhängern, die keine Koalition mit einem möglichen Unionskanzler Friedrich Merz mitwählen wollen. Derzeit gelten die Koalitionsoptionen Schwarz-Rot und Schwarz-Grün nach der Wahl als wahrscheinlich.
Auch im Fall von Kleinstparteien könne strategisches Wählen sinnvoll sein, so Stötzer: Indem man sich gegen sie entscheidet, wenn diese ohnehin keine realistische Chance hätten, den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen - und die Stimme damit verschenkt wäre.
"In einem solchen Fall kann es sinnvoll sein, auf eine größere Partei auszuweichen, um sicherzustellen, dass die Stimme überhaupt Gewicht im Parlament und für Regierungsmehrheiten hat", erläutert Wahlforscher Stötzer.
Klares Abraten von "Campact"
Die für progressive Politik eintretende zivilgesellschaftliche Kampagnen-Organisation "Campact" rät bei dieser Bundestagswahl via Internet-Aufsatz explizit davon ab, die zum progressiven Spektrum gehörende Partei Volt zu wählen - eine Stimme für Volt helfe vor allem AfD und Union. Denn der Einzug von Volt in den Bundestag sei "sehr unwahrscheinlich". Zwei Millionen Stimmen bräuchte die Kleinstpartei aktuell laut "Campact", um ins Parlament einzuziehen. Bei der vergangenen Bundestagswahl erhielt Volt 0,4 Prozent der Stimmen, eigenen Angaben zufolge um die 165.000 Stimmen.
Ganz verloren ist eine Stimme für eine Kleinstpartei natürlich nicht, denn die Parteien erhalten je nach Stimmenanzahl ihre Parteifinanzierung. Dennoch könnte sich ein Blick auf die mögliche künftige Zusammensetzung des Parlaments dieses Mal besonders lohnen.
Hohe Umfragewerte für die AfD
Noch nie vor einer Bundestagswahl gab es stabil so hohe Umfragewerte für die in Teilen rechtsextreme Partei AfD. Bei der Landtagswahl in Brandenburg im Herbst 2024 lieferte sich die Partei ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der SPD um Platz Eins. Dies führte zu einer starken Wählerwanderung, wohl taktisch motiviert, zur SPD. Auch wenn Platz Eins für die Union entschieden scheint, wird es besonders Wählende aus dem Mitte-Links-Lager umtreiben, wie sie das Erstarken der AfD verhindern.
Denn Wahlforschende bestätigen folgende Rechnung: Je mehr Stimmenanteile draußen bleiben, desto stärker werden einzelne im Bundestag sitzende Fraktionen in Bezug auf die Zahl der 630 Sitze. Scheitern FDP, BSW und Linkspartei knapp an der Fünf-Prozent-Hürde, dann wären allein damit knapp 15 Prozent der Stimmen nicht im neuen Bundestag repräsentiert.
Das bestimmt auch Mehrheitsverhältnisse: Je mehr Parteien im Parlament sind, desto stärker müssten prozentual Regierungskoalitionen werden. Damit werden Dreier-Bündnisse wahrscheinlicher.
Fehlen würden in jedem Fall die Stimmen für Kleinstparteien, die in den Wahlstatistiken als "Sonstige" oder "Andere" auftauchen. Derzeit liegen die bei 4,5 Prozent. Würde man die Zahl der Nichtwählerinnen und -wähler noch hinzurechnen, kommt einiges zusammen: Bei der Bundestagswahl 2021 hatten sich laut Bundestagswahlleiterin 23,6 Prozent nicht an der Wahl beteiligt.
Jeder Fünfte noch unentschlossen
Zehn Tage vor der Bundestagswahl maß der ARD-DeutschlandTrend bei den Wahlabsichten noch rund 13 Prozent Unentschiedene, die angaben, dass sich ihre Parteipräferenz bis zum Wahlsonntag noch ändern könnte. Knapp jeder fünfte Wahlberechtigte gab zusätzlich an, zur Nichtwahl zu tendieren oder zumindest noch keine Parteipräferenz zu haben.
Gerade diese Gruppe könnte bei den drei kleinen Parteien noch einen Unterschied machen - ob taktisch motiviert oder aus Überzeugung. Fest steht schon jetzt: Je mehr von ihnen in den Bundestag einziehen, desto mehr Prozentpunkte braucht eine künftige Regierung, um eine Mehrheit zusammenzubekommen.