Bundestagswahl 2025
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Wahlrecht Bleiben viele Deutsche im Ausland diesmal außen vor?
Es war ein Problem mit Ansage, nun ist der Frust rund um den Globus groß. Die kurzen Fristen bei der vorgezogenen Neuwahl führen zu Ärger bei Wählenden im Ausland. Wahlunterlagen kommen zu spät an - oder gar nicht.
Für die im Ausland lebenden Deutschen ist die Bundestagswahl bereits gelaufen. Sie konnten ihre Stimme nur per Briefwahl abgeben, die Fristen dazu sind vorbei, denn der Brief muss schließlich rechtzeitig an der Wahlurne der Heimatgemeinde ankommen.
Seit Tagen macht sich inzwischen rund um den Globus Frust breit. Denn viele, die wählen wollten und Wahlunterlagen beantragt haben, konnten nicht.
Es sind nicht nur Einzelfälle, soviel steht fest. "Es geht um Tausende, wenn nicht Zehntausende", sagt Verfassungsrechtler Ulrich Battis im Gespräch mit tagesschau.de. Er sieht darin eine klare Beeinträchtigung des hohen Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl. Beschwerden beim Wahlprüfungsausschuss des Bundestags oder gar im zweiten Schritt beim Bundesverfassungsgericht dazu seien denkbar.
Die Gruppen Auslandsdeutscher in Internetforen haben seit Tagen nur ein Top-Thema: Dass aufgrund fehlender oder zu langsam eingetroffener Wahlunterlagen der Stimmzettel zur Bundestagswahl nicht rechtzeitig abgegeben werden kann. Denn jeder Wahlschein, der Sonntagabend nach 18 Uhr ankommt, ist ungültig und damit eine verlorene Stimme.
Das Problem durch die verkürzten Fristen der vorgezogenen Neuwahl war bereits Ende des vergangenen Jahres vorausgesehen worden, sowohl vom Auswärtigen Amt als auch von der amtierenden Bundeswahlleiterin Ruth Brand.
Im November hatte Brand bereits Bundeskanzler Olaf Scholz in einem Schreiben Risiken aufgezeigt - ein Punkt galt den fehlenden Wahlunterlagen, nach Informationen von tagesschau.de bezogen auch auf Auslandsdeutsche. Brand sah "eine hohe Gefahr, dass der Grundpfeiler der Demokratie und das Vertrauen in die Integrität der Wahl verletzt werden könnte", hieß es laut Spiegel in dem Schreiben der Bundeswahlleiterin. Scholz, der zunächst eine Neuwahl für März erwogen hatte, zog auf politischen Druck hin seine Vertrauensfrage vor.
Schon bei normalen Fristen kritisch
Doch selbst mit einer vorgezogenen Neuwahl im März hätte es dasselbe Problem gegeben - die Fristen, etwa für die Auflösung des Bundestags durch den Bundespräsidenten und die danach laufen stets ab der Vertrauensfrage. Das aktuelle Wahlrecht gibt es so vor. Wegen des kürzeren Zeitraums im Vergleich zu regulär stattfindenden Bundestagswahlen hat sich das Innenministerium an der ebenfalls vorgezogenen Neuwahl 2005 orientiert.
Damals waren die Hürden für Auslandsdeutsche noch höher, man musste sein Wahlinteresse begründen. Das ist abgeschafft. Geblieben sind immer noch Hindernisse, die es Auslandsdeutschen schon ohne eine Fristverkürzung und Vorziehen von Bundestagswahlen schwer machen, ihr Wahlrecht auszuüben.
Man muss sich aktiv in ein Wählerverzeichnis eintragen lassen. 2017 haben das noch rund 67.000 getan. Dieses Mal gab es laut Bundeswahlleiterin rund 213.000 Eintragungen - fast doppelt so viele wie bei der Bundestagswahl 2021. Dann muss man die Briefwahlunterlagen aktiv anfordern, an seine Privatadresse oder die zuständige Botschaft schicken lassen und sie auf dem Postweg in der Regel an die deutsche Gemeinde zurücksenden, in der man zuletzt gelebt hat. Dabei wurde von vielen Botschaften Hilfe mit Diplomaten-Kurierdienst angeboten.
Das Problem blieb der besondere Zeitdruck: Stimmzettel konnten erst ab dem Abend des 30. Januar gedruckt werden, denn erst dann war die letzte Einspruchsfrist bei den Wahlausschüssen zur Zulassung von Parteien abgelaufen. Die zuständigen Gemeindebehörden konnten sie erst Anfang Februar verschicken. Wohnt man als Auslandsdeutscher nicht gerade in Kopenhagen oder Brüssel, sind die zwei Postwege nahezu unmöglich zuverlässig zu bewältigen.
In der Praxis kam es diesmal zu ungewöhnlichen Aktionen: Am Donnerstagabend vor der Wahl setzte sich der Deutsche Konsul Werner Froer in Neu-Delhi ins Flugzeug nach München, um einen dicken Umschlag mit Stimmzetteln persönlich nach Deutschland zu bringen. "Es gibt aber auch einige Enttäuschte, die ihre Unterlagen eben nicht bekommen haben." In diesem Fall seien die Fristen so kurz gewesen, erläutert der Diplomat den tagesthemen, "dass wir die Briefwahlunterlagen erst sehr spät erhalten haben und es so nicht auf einen anderen Weg rechtzeitig nach Deutschland zurückbringen konnten".
Auch fragwürdige Versandarten
Doch auch zu fragwürdigen Versendungsarten wurde offenbar gegriffen: Nach Informationen von tagesschau.de hat die Stadtverwaltung Halle (Saale) Wahlunterlagen wohl aus Kostengründen über einen Billigversand mit Umweg über die Schweiz nach Schweden verschickt - allein das kostete laut Poststempel sechs Tage.
Das Konsulat Sydney schrieb diese Woche "Mitglieder der Deutschen Gemeinde" per E-Mail an, ob jemand am Donnerstagabend per Flugzeug von Sydney nach Deutschland reisen würde - und abgegebene Wahlunterlagen mitnehmen könne. Die Begründung: "Mit einem kommerziellen Kurier kommt die Post nicht mehr rechtzeitig an. Deshalb brauchen wir Ihre Hilfe."
Fest steht: Viele Wahlbriefe werden verspätet ankommen. Laut Bundeswahlordnung werden diese dann mit Vermerk ungeöffnet aufbewahrt. Wie viele verlorene Stimmen Auslandsdeutscher das sein werden, lässt sich derzeit laut Bundeswahlleiterin nicht sagen. Nach der Wahl wird die Dimension klarer sein. Dann wären Wahlprüfungsausschuss und Bundesverfassungsgericht dran. "Eine Wiederholungswahl wäre dabei das absolut letzte Mittel", sagt ARD-Rechtsexperte Kolja Schwartz.
Verfassungsrechtler Battis bezweifelt, dass deswegen das ganze Bundestagswahlergebnis für ungültig erklärt wird. "Aber es könnte der Auftrag des Verfassungsgerichts an den Gesetzgeber dabei herauskommen, dafür Sorge zu tragen, dass das Wahlrecht im Ausland auch ausgeübt werden kann." Das sei momentan erkennbar nicht der Fall.
Bundeswahlleiterin Brand wird sich in ihren Bedenken jedenfalls bestätigt sehen. Fragt man sie nach einer Einschätzung, hält sie sich so kurz vor der Wahl mit erneuter Kritik erkennbar zurück: "Im Rahmen der Nachbetrachtung der Bundestagswahl wird sicherlich auch eine Einordnung der Möglichkeiten der Wahlteilnahme von Auslandsdeutschen durch die zuständigen Stellen erfolgen." Hierzu könne sie "einen gewissen Beitrag leisten". Ein Plädoyer, das Wahlgesetz für Auslandsdeutsche zu ändern? Vorschläge dazu gibt es bereits.
Mit Informationen von Peter Hornung, ARD Neu-Delhi und Kolja Schwartz, ARD-Rechtsredaktion