Detailansicht eines Smartphones mit Apps für soziale Medien

Welttag gegen Internetzensur "Der Vorwurf, es gebe Zensur, ist sehr mächtig"

Stand: 15.03.2025 14:14 Uhr

US-Vizepräsident Vance wiederholt es genauso gebetsmühlenartig wie Verschwörungsmythiker und Rechtspopulisten: In Deutschland soll die Meinungsfreiheit eingeschränkt sein. Was hinter dem Vorwurf steckt.

Der US-amerikanische Steuerzahler werde es nicht hinnehmen, wenn jemand in Deutschland im Gefängnis lande, nur weil er einen "gemeinen Tweet" im Internet gepostet habe, erklärte US-Vizepräsident JD Vance neulich bei einem Treffen mit Gleichgesinnten in der Nähe von Washington. Eine angebliche Internetzensur in Europa und ganz speziell in Deutschland scheint eines der aktuellen Lieblingsthemen des Republikaners zu sein.

Erst recht, wenn er auf der anderen Seite des Atlantiks weilt: Schon bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar hatte Vance für Aufsehen gesorgt, als er behauptete, die Meinungsfreiheit in Europa sei eingeschränkt.

Solche Aussagen sind Wasser auf die Mühlen derer, die seit Jahren beklagen, es gebe keine Meinungsfreiheit in Deutschland. Deutschland habe in Sachen Zensur längst Nordkorea den Rang abgelaufen, behauptet ein Internet-Meme, das seit Jahren auf den Kanälen von Verschwörungsmythikern und Rechtspopulisten kursiert.

Fake-News-Forscher: Vorwürfe sind meist Strategie

Felix Schilk forscht an der Universität Tübingen zu solchen Narrativen. "Die Vorwürfe kommen aus ganz unterschiedlichen Richtungen", sagt Schilk. Was die meisten allerdings gemeinsam hätten: Es gehe in der Regel nicht um den sachlichen Gehalt der Aussage, sondern eher um eine bestimmte Strategie.

"Der Vorwurf, es gebe eine Zensur, ist sehr mächtig. Er rüttelt quasi an den Grundfesten unserer Demokratie", sagt Schilk. Damit lasse sich der Begriff sehr gut zur Waffe machen. Konkret macht der Forscher drei Ziele aus: Der Vorwurf eigne sich erstens sehr gut, um politische Gegner zu diskreditieren. Zweitens gebe man sich sofort in eine Opferrolle. Und drittens: Die Aussage generiere sofort so viel Aufmerksamkeit, dass man von anderen Themen ablenken könne. Oftmals aus populistischen Motiven.

Ein Bericht des US-Fernsehsenders CBS hat die Debatte um Meinungsfreiheit in Deutschland weiter angeheizt. Darin ist zu sehen, wie die Polizei in Niedersachsen im Zuge von Ermittlungen gegen Hassrede im Internet ein Haus durchsuchen und dabei Smartphones und Laptops beschlagnahmen. In den Augen von JD Vance komplett überzogen, wie er bei dem Treffen in der Nähe von Washington betonte.

Kommunikationsforscher: Deutliche kulturelle Unterschiede

Tatsächlich gebe es in den USA und Deutschland deutliche kulturelle Unterschiede, was das Verständnis und den Umgang mit Meinungsfreiheit betrifft, sagt der Kommunikationswissenschaftler Klaus Kamps von der Hochschule der Medien in Stuttgart. Seine Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem Medien und öffentliche Kommunikation in den USA. 

In den USA gebe es seit 1791 eine sehr weitreichende Meinungs- und Redefreiheit. In Europa hingegen sei sie stärker reglementiert. Das habe vor allem historische Gründe. "Bei Äußerungen über den Nationalsozialismus etwa ziehen wir in Deutschland die Zügel früher an", sagt Kamps. Auch bei persönlichen Beleidigungen greift das europäische Recht früher - zum Schutz der Beleidigten.

"In den USA sind die Grenzen deutlich weiter gesteckt." Das heiße aber auch nicht, das man dort alles sagen dürfe - auch nicht die Medien, die allerdings vergleichsweise weitgehende Freiheiten genießen.

Trump verbietet Begriffe

Gleichzeitig hat US-Präsident Trump mehr als 200 Begriffe definiert, die weniger oder gar nicht mehr verwendet werden sollen. Dazu zählen unter anderem "Frauen", "Gender", "LGBT", "Opfer", "Stereotyp", "soziokulturell", "trans" und "unterrepräsentiert", wie die New York Times berichtete. Sie sollen aus offiziellen Dokumenten entfernt werden, darunter Regierungsmemos, aber auch Schulleitfäden.

Die New York Times kontrastiert das Verhalten mit dem Kampf der Trump-Regierung "für die Meinungsfreiheit". Das Muster der "verschwindenden Wörter" lasse darauf schließen, dass die neue US-Regierung die Debatte bei ihr unliebsamen Themen lieber abwürgen als ausweiten will.

"Klare Agenda" von Vance-Aussagen

Auch wenn die kulturellen Unterschiede groß sind - für Kamps verfolgen die Vance-Äußerungen dennoch eine klare Agenda. Als US-Vize-Präsident müsse er eigentlich wissen, dass seine Vorstellungen von freier Rede nicht einfach auf andere Länder übertragen kann, findet Kamps. "Europa tritt nicht erst seit gestern dafür ein, Netz-Plattformen durch Vorgaben wie eine Moderation von Hate-Speech zu regulieren. Das kostet die Plattformen Geld", sagt der Kommunikationswissenschaftler.

Auch Verschwörungsmythen-Forscher Schilk aus Tübingen sieht als Hauptgrund der Vance-Aussagen, dass die US-Tech-Riesen die EU-Regulierung ablehnen. Und noch etwas beobachtet er: "Der Vorwurf wird mittlerweile völlig maßstabslos verwendet", sagt Schilk. "Es wird gar nicht mehr geklärt, was Zensur ist, wo sie stattfindet und wo sie beginnt." Den Diskurs wieder auf eine sachliche Ebene zu heben, sei eine "riesige Herausforderung". Politik und Medien seien heute allerdings oftmals selbst eher skandalgetrieben, sodass sie in diesem Punkt noch zu oft versagten.

Denn der nüchterne Blick auf die Zahlen entkräftet viele Vorwürfe auf Anhieb: In Deutschland seien mehr als 6.000 YouTube-Videos sowie 900 Bücher "zensiert", wird von Verschwörungserzählern im Internet immer wieder angeführt. Das kursierende Meme ist allerdings zum einen nach Recherchen von Correctiv sowie der französischen Nachrichtenagentur afp schon einige Jahre alt. Zum anderen gehen dabei gleich mehrere Begriffe durcheinander.

Die meisten Videos sperrt YouTube wegen eigener Richtlinien

In seinem eigenen Transparenzbericht veröffentlicht YouTube etwa quartalsmäßig Zahlen gelöschter Videos: Von Oktober 2024 bis Dezember 2024 wurden demnach in Deutschland 90.125 Clips gelöscht - Platz 16 weltweit und weit hinter Platz 1, Indien, mit rund 3 Millionen entfernten Videos. Den Großteil der Videos löscht oder sperrt YouTube nach eigenen Angaben dabei aufgrund von eigenen Richtlinien, etwa Urheberrechtsverstößen oder Jugendschutz, und nicht etwa wegen staatlicher "Zensur".

Zwar haben auch Behörden die Möglichkeit, Löschanträge zu stellen. Der Anteil ist aber seit Jahren sehr gering: Im zuletzt veröffentlichten Zeitraum, dem ersten Halbjahr 2024 kamen lediglich 48 solcher Gesuche von deutschen Behörden.

Wenn von 900 zensierten Büchern und 6.000 Videos die Rede ist, bezieht sich das wohl auf die Indizierung jugendgefährdeter Medien durch die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ), also Werke, die umgangssprachlich "auf dem Index" landen. Diese Medien sind aber laut BzKJ nicht generell verboten, sondern unterliegen lediglich "strengen Werbebeschränkungen gegenüber Kindern und Jugendlichen". Mit Stand 26. Februar 2025 sind davon etwa 380 Schriftwerke wie Bücher, 1.435 Filmwerke und 2.050 Tonwerke wie CDs betroffen.

Schutz der Persönlichkeitsrechte

Legitimiert ist das Vorgehen durch Artikel 5 des Grundgesetzes, der zwar sicherstellt, dass eine Zensur nicht stattfindet, aber gleichzeitig regelt, dass die Meinungsfreiheit da endet, wo der Jugendschutz oder die Persönlichkeitsrechte anderer verletzt werden. Also genau durch jene im Vergleich zu den USA weniger weitgefasste Definition der Meinungs- und Redefreiheit, für die sich laut Kommunikationsforscher Kamps Deutschland nach dem Krieg "aus gutem Grund" entschieden habe.

Trump verbietet Begriffe
Um die Behörden von "woken" Initiativen zu befreien, hat US-Präsident Trump mehr als 200 Begriffe definiert, die weniger oder gar nicht mehr verwendet werden sollen. Dazu zählen unter anderem "Frauen", "Gender", "LGBT", "Opfer", "Stereotyp", "soziokulturell", "trans" und "unterrepräsentiert", wie die New York Times berichtete. Sie sollen aus offiziellen Dokumenten entfernt werden, darunter Regierungsmemos, aber auch Schulleitfäden.

Die New York Times kontrastiert das Verhalten mit dem Kampf der Trump-Regierung "für die Meinungsfreiheit". Das Muster der "verschwindenen Wörter" lasse darauf schließen, dass die neue US-Regierung die Debatte bei ihr unliebsamen Themen lieber abwürgen als ausweiten will.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das "Europamagazin" im Ersten am 26. Januar 2025 um 12:45 Uhr.