Bundesarbeitsminister Heil verfolgt während der Bundesratssitzung die Abstimmung zum Bürgergeld.
Analyse

Länderkammer Die neue alte Macht des Bundesrats

Stand: 16.12.2022 12:54 Uhr

Während der Großen Koalition passierten Gesetze den Bundesrat meist reibungslos. Die Debatte um das Bürgergeld hat gezeigt: Das ist vorbei. Dabei ist die Länderkammer mehr als ein Blockadeinstrument.

Eine Analyse von Corinna Emundts, ARD-aktuell

Vor wenigen Wochen flirrte die Luft in Berlin zwischen dem Bundestag und dem wenige Fahrradminuten entfernten majestätischen Bundesratsgebäude. Es ging um eines der größten Reformvorhaben der immer noch neuen Ampelkoalition - das Bürgergeld. Es sollte ein Befreiungsschlag werden, nicht nur für die armutsgefährdeten Bürgerinnen und Bürger, sondern vor allem für die Sozialdemokraten, die sich endlich und endgültig vom schweren Erbe der Schröder-Ära lösen wollten: Der sogenannten Hartz-IV-Reform, die Sozial- und Arbeitslosenhilfe 2005 zusammengeführt hatte.

Endlich konnte die SPD in der neuen Koalition mit FDP und Grünen ohne die Union darüber entscheiden. Das einzige Problem dabei: Es handelte sich um ein zustimmungspflichtiges Gesetz, also eines, das nur mit Zustimmung einer Mehrheit der Bundesländer im Bundesrat über die Bühne gehen konnte.

Erfolg für Merz

Ein gefundenes Fressen nicht nur für Oppositionsführer und CDU-Chef Friedrich Merz, der seine Hauptaufgabe darin sieht, sich mit seiner Partei von der Laschet-Pleite bei der Bundestagswahl zu rehabilitieren und in eine Pole Position zu bringen: Um jederzeit bereit zu sein, ins Kanzleramt zu kommen, sollte die Ampel doch noch platzen. Danach sieht es zwar derzeit nicht aus, aber die Union liegt in Umfragen derzeit weit vor der Kanzlerpartei SPD.

"Union droht mit Blockade" war die Schlagzeile, als das Bürgergeld zwar vom Bundestag verabschiedet wurde, aber dann im Bundesrat festhing und der Vermittlungsausschuss angerufen werden musste - zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode. Ein fast vergessenes Instrument, in dem sich Vertreter aus der Länderkammer und dem Bundestag um Kompromisse mühen.

Wer der Ampel mit Blockade drohen kann, muss mächtig sein - Merz wird sich über die Schlagzeilen gefreut haben. Ganz so dramatisch wurde es dann nicht, am Ende war ein Kompromiss zwischen Bund und Ländern sogar einen Tag vor der ersten Vermittlungausschuss-Sitzung gefunden.

Ein Vorgeschmack auf kommende Jahre

Doch dürfte das ein Vorgeschmack auf die kommenden Jahre sein. Die Zeiten des Bundesrates im Dornröschenschlaf sind definitiv vorbei, der Vermittlungsausschuss wird sicher wieder öfter tagen als in den vielen Jahren der Großen Koalitionen in der Ära Merkel ab 2005. Denn mit der übergroßen Mehrheit von Union und SPD im Bundestag und der Tatsache, dass in fast allen Bundesländern eine der beiden Volksparteien die Landesregierung führte, gab es vor allem eins: wenig Blockaden seitens der Länder und viel Kompromisspolitik.

Das lag allerdings auch daran, dass es Merkel verstanden hatte, die Länder früh und rechtzeitig einzubinden, per Telefon und SMS. Von Scholz hört man das weniger. So mache er es der Union doppelt leicht, Blockierer zu spielen und sich zu profilieren, heißt es auf Länderseite - auch in Kreisen außerhalb der CDU/CSU.

Natürlich wird die Bundesregierung versuchen möglichst viele nicht zustimmungspflichtige Gesetze zu verabschieden, diesen Umstand sehend und kennend, etwa bei der Einwanderungspolitik. Denn Arbeitsminister Hubertus Heil musste einige schmerzhafte Kompromisse akzeptieren, um seine Bürgergeld-Reform und nicht nur die Anhebung der Regelsätze am Ende durchzukriegen. Das sind die üblichen Spielchen zwischen Bund und Ländern.

Unmut auch in SPD-geführten Ländern

Interessanter ist eine Entwicklung, die gerade zwischen SPD-regierten Ländern und SPD-Kanzler zu beobachten ist. Bei den Länderchefs- und -chefinnen der SPD ist die Stimmung dem Vernehmen nach angeschlagen, weil auch sie nicht immer eingebunden werden und kurzfristig oder gar nicht vorab von Gesetzesentwürfen der Scholz-Regierung erfahren, auch wenn diese sie betreffen.

Jetzt kriegen sie die Top-Down-Politik zu spüren, die sich der Kanzler als Regierender Bürgermeister von Hamburg angeeignet hat und nun offenbar weiter betreibt. Allerdings ist Deutschland kein Stadtstaat, sondern ein föderales System mit selbstbewussten Bundesländern, die zuweilen auch andere Interessen haben als der Bund.

So wird ein stolzer Bundesrat, der die Pläne von Kanzler und Ampelregierung zuweilen durchkreuzt, die Regel werden, nicht die Ausnahme. Und den konstruktiven Streit um die richtige Politik wiederbeleben, die dem Land lange gefehlt hat.