Deutschland und Trump Bereit für das Unerwartete?
Außenpolitik baut auf Verlässlichkeit. Doch mit Trumps zweiter Amtszeit müssen Deutschland und Europa erneut einen Weg finden, mit bewussten Grenzüberschreitungen umzugehen. Wie gut sind sie gerüstet?
"We are better off together": Es war eine ausgestreckte Hand von Kanzler Olaf Scholz, als er damals im November Donald Trump nach dessen Wahlsieg pflichtschuldig gratulierte. Um beinahe beschwörend nachzuschieben: "Gemeinsam können wir viel mehr durchsetzen als gegeneinander."
Ein Donald Trump aber ist nicht der Typ fürs Gemeinsame. Angela Merkel hat das immer wieder leidvoll erfahren müssen. Multilateralismus? Für Trump ein Schimpfwort. Kompromiss? Etwas für Schwächlinge. So denke dieser "besondere Präsident der USA", sagte die Kanzlerin. Trump kenne das Prinzip von Win-Win-Situationen nicht. Trump, analysierte Merkel gerade nüchtern vor der CDU in Nordrhein-Westfalen, glaube daran, dass es immer einen Gewinner und einen Verlierer geben müsse.
Wer beim Blick auf Europa und die USA Gewinner und wer Verlierer sein wird? Für Trump zumindest ist die Sache ausgemacht.
Außenpolitiker setzen auf Verlässlichkeit
Zwei Mal hat Olaf Scholz seit Trumps Wahlsieg bereits mit dem designierten Präsidenten telefoniert. Die Berater von Scholz mühten sich, deutsche und europäische Positionen in die Köpfe der Trump-Berater zu pflanzen. Angebote zu machen. Daran zu erinnern, dass Protektionismus noch niemanden genutzt habe. Dass Europa jetzt bereits mehr Geld für Verteidigung ausgebe. Mit Erfolg?
"Expect the unexpected", zitierte zuletzt Verteidigungsminister Boris Pistorius eine Diplomatin, als es um die künftige Ukraine-Politik von Trump ging. Niemand weiß, was Trump auch hier wirklich plant.
Erwartet das Unerwartete. Für Außenpolitiker, die auf lange Linien, Verträge und verlässliche Absprachen setzen, keine allzu beruhigende Maxime. "Es weiß eben niemand, was tatsächlich kommt“, sagt Christian Mölling von der Bertelsmann-Stiftung dem ARD-Hauptstadtstudio.
Merz hält Trump für gut kalkulierbar
Dabei glaubt zumindest einer, diesen Donald Trump lesen zu können: Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Der CDU-Politiker hält Trump für "sehr gut kalkulierbar". Die These von Merz: "Trump denkt, was er sagt, und er macht, was er sagt."
Er will dem eigentlich als erratisch geltenden Präsidenten heute einen handschriftlichen Brief zur Amtseinführung schicken. Nach dem Motto: Lass uns doch ein neues Kapitel schreiben. Merz nennt die zweite Amtszeit von Trump die letzte Chance für die EU, sich tatsächlich neu und besser aufzustellen.
Bewährungsprobe 2017 wurde verpasst
Dabei hatten Deutschland und die EU längst eine Bewährungsprobe bekommen - und sie grandios verpasst. 20. Januar 2017: Amtseinführung des 45. US-Präsidenten namens Donald Trump. Der Bundespräsident hieß damals Joachim Gauck und der prophezeite, dass Europa künftig zur Verteidigung seiner universellen Werte mehr Verantwortung übernehmen müsse. "Deshalb sind die kommenden Jahre für Europa eine Bewährungsprobe", sagte Gauck im Januar 2017.
Acht Jahre später ist die Bilanz dieser Bewährungsprobe ernüchternd. "Wir sind nicht gut vorbereitet", sagt der Außenpolitik-Experte Christian Mölling. Er fragt: Was sind denn die Politikoptionen von Europa, wenn Trump seine teilweise absurd erscheinenden Drohungen umsetzen will? Was ist Europa dann bereit und in der Lage zu tun?
Schon jetzt scheint es für Trump auch im übertragenden Sinne keine Grenzen mehr zu geben. Grönland, Panama, Kanada: Entgrenzung von Tabus, für Trump ein legitimes Mittel bei dem Versuch, immer und überall als Sieger vom Platz zu gehen.
Kanzler Olaf Scholz ahnt vermutlich, wie wenig verlässlich künftig der amerikanische Kurs für Berlin sein dürfte. Als Scholz zuletzt öffentlich gefragt wurde, wie es denn mit Trump für die Ukraine weitergeht, folgte ein eher ratlos machender Satz aus dem diplomatischen Werkzeugkasten eines Scholz: "Deshalb können wir darauf hoffen, dass eine gute Kooperation zwischen Europa und den USA für weitere Ukraine-Hilfen auch für die Zukunft weiter gelingt." Ein Satz, der so sperrig ist wie das Verhältnis der derzeitigen Bundesregierung zu jenem Donald Trump.
Deutscher Botschafter malt ein düsteres Bild
Womit diese Bundesregierung künftig wirklich rechnet, ließ sich dagegen gerade erst öffentlich in einer eigentlich vertraulichen Analyse des deutschen Botschafters in Washington, Andreas Michaelis, nachlesen. Unter der Verschlusssache "US-Rechtsstaat unter Trump 2.0" hatte der Botschafter der Außenministerin Annalena Baerbock und dem Kanzlerteam um Scholz ein extrem düsteres Bild gemalt.
Er schreibt über "maximale Machtkonzentration beim Präsidenten". Demokratische Grundprinzipien würden ausgehebelt, Legislative, Gesetzesvollzug sowie Medien ihrer Unabhängigkeit beraubt und als politischer Arm missbraucht. Hier schreibt ein deutscher Botschafter über die USA, die bisher als wichtigster und engster Verbündeter Deutschlands auf der Weltbühne galten. Die Trump-Leute dürften es mit Interesse gelesen haben.
Bewusst Grenzen überschreiten
"Außenpolitik ist kein Wunschkonzert", so das Motto von Annalena Baerbock. Aber was, wenn ein amerikanischer Präsident künftig weder Abkommen noch Völkerrecht achtet?
Christian Mölling von der Bertelsmann-Stiftung sagt, Trump zeige, dass er bewusst bereit sei, Grenzen zu überschreiten. Europa fordere diese dann öffentlich rhetorisch ein - wie zuletzt das Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen. "Wohlwissend, dass wir ganz, ganz schlechte Karten haben, wenn es auf einen Test hinausläuft", sagt der Experte.
Der konservative Europapolitiker und Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, ist da weniger pessimistisch. Er erinnert an die Herausforderungen, die Europa in den vergangenen Jahren stärker gemacht haben: Finanzkrise, Migrationskrise, Coronakrise. Jetzt also Trump. Ein US-Präsident als Krisenszenario? "Er hält uns den Spiegel vor und wir werden sicher darauf antworten", sagt CSU-Mann Weber.
Und Unions-Kanzlerkandidat Merz sieht Trump zumindest öffentlich als jemanden, der einen Reformprozess in Europa beschleunige, den Europa ohnehin hätte machen müssen. Fast klingt Dankbarkeit durch. Ein möglicher Kanzler Merz könnte das bald schon anders sehen.