"D-Day"-Affäre "Keine besinnlichen Weihnachten für die FDP"
Ein veröffentlichtes Papier, zwei Rücktritte und die Frage: Schädigt die "D-Day-Affäre" auch FDP-Chef Lindner? Politikwissenschaftlerin Münch erklärt, warum der Vorgang für ihn glimpflich ausgehen könnte.
tagesschau24: Die SPD sieht in den Rücktritten von Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann Bauernopfer, um vom eigentlichen Verantwortlichen Christian Lindner abzulenken. Wie sehen Sie das denn?
Ursula Münch: Dass auch der Generalsekretär geht, ist meines Erachtens schon ein relativ weitgehender Schritt. Ich würde jetzt den Parteivorsitzenden Christian Lindner nicht direkt betroffen sehen. Er muss auch nicht darüber informiert worden sein. Aber natürlich: Diese Forderungen werden kommen.
Solange die Forderungen aber nur vom politischen Gegner kommen, wird es die FDP ziemlich unberührt lassen. Etwas ändern würde sich, wenn das Gruppen innerhalb der Partei auch laut und vernehmlicher äußern würden. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Partei so weit geht, ihren eigenen Vorsitzenden ausgerechnet drei Monate vor einer Wahl abzusägen, bei der es für die FDP tatsächlich um alles oder nichts angeht.
"Es ist jetzt nicht der Verrat an der Bundesrepublik"
tagesschau24: Carsten Reimann gilt als enger Vertrauter von Christian Lindner. Wie glaubwürdig ist es denn da, dass Lindner nichts davon wusste?
Münch: Zunächst mal muss man das Gegenteil beweisen. Abgesehen davon ist das natürlich alles eine unschöne Geschichte. Aber es ist auch nur ein Strategiepapier, also es ist jetzt nicht der Verrat an der Bundesrepublik Deutschland.
Es war ein nicht besonders faires Spiel innerhalb der Ampel-Regierung, die ja aber ohnehin in den letzten anderthalb Jahren auch nicht fair miteinander gespielt hat. Das ist ein Vertrauensverlust. Ärgerlicherweise trifft er nicht nur die FDP, das wird insgesamt auch auf die Politik zurückfallen, von der viele Menschen glauben, das sind ja alles ohnehin nur Lügner und die karten alle ohnehin nur untereinander alles ab.
Aber ansonsten würde ich das Ganze jetzt auch nicht zu hoch hängen. Dass das keine Liebesbeziehung ist und dass man an Plänen feilt, wie man wieder rauskommt und dass man vielleicht in der Öffentlichkeit versucht, nicht ganz deutlich zu machen, wer dahinter steckt - das finde ich zwar nicht schön, aber auch keine Staatsaffäre.
"Da hat jemand komplett daneben gegriffen"
tagesschau24: Aber wie viel Zündstoff drinsteckt, haben wir erlebt - alleine mit der Diskussion um die Wortwahl. Vom "D-Day" wird da gesprochen und von einer "offenen Feldschlacht". Wie kommt man denn auf so etwas? Kritiker sagen, die FDP wolle Olaf Scholz darin mit Adolf Hitler vergleichen.
Münch: Zunächst mal bin ich also ehrlich gesagt verwundert, um nicht zu sagen bestürzt, was da für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der FDP sind, denen es offensichtlich an historisch-politischer Bildung fehlt. Da hat jemand komplett danebengegriffen und eine komplett falsche Wortwahl gewählt. Aber ich sehe keine Gleichsetzung der Ampel mit dem NS-Regime, sondern ich sehe eine ganz große Bildungslücke, was übrigens auch kein schönes Zeugnis ist.
tagesschau24: Offenbar war ja auch geplant, dass Lindner den Bruch der Ampelkoalition verkündet. Selbst eine Rede gab es dazu schon. Dann ist Scholz ihm zuvorgekommen. Hätte das ihrer Meinung nach etwas in der Wahrnehmung geändert?
Münch: Es ist ja was Naheliegendes, dass man in so einer Koalition, wenn man sie platzen lässt, gern das Heft des Handelns behält und dass man sich das anders gewünscht hat, kann man sich leicht vorstellen. Dass da offensichtlich die SPD oder die gesamte Ampelregierung Wind davon bekommen hat und dieses Spiel nicht mitgespielt hat, ist im Nachhinein sehr verständlich.
Im Nachhinein fällt natürlich ein anderes Licht auf diese Abrechnungs- und Rauswurfrede des Bundeskanzlers gegenüber Christian Lindner. Die ist jetzt immer noch nicht vom Ton her fein geraten, aber man kann nachvollziehen, dass er diese Rede vorbereitet hatte. Und man kann nachvollziehen, dass der Kanzler sehr erzürnt war und im Grunde versucht hat, es zu einer Abrechnung mit Christian Lindner und vielleicht sogar mit der ganzen FDP zu machen. Das erschließt sich jetzt im Nachhinein eher.
tagesschau24: War es für die FDP denn wirklich das kleinere Übel? Ein sinkendes Schiff zu verlassen, um mit so schlechten Umfragewerten in eine Neuwahl zu gehen?
Münch: Da spielt man auf ganz großes Risiko. Ich bin immer davon ausgegangen, dass sie versucht rauszukommen, ohne Neuwahlen zu provozieren. Aber man hat offensichtlich die Hoffnung gehabt - und man hat sie vielleicht immer noch und sie ist ein bisschen kleiner geworden - dass bis zur Neuwahl vieles in Vergessenheit gerät und es der FDP gelingen könnte, sich auf ihre Kernbotschaften zurückzuziehen: das Thema wirtschaftlicher Niedergang der Bundesrepublik einerseits gegen die Grünen zu wenden, andererseits zu sich selbst zu wenden. Außerdem das Thema Technologieoffenheit, das ja ein Thema ist, das auf viel Gehör stößt.
Jetzt kommt diese Strategie-Affäre dazwischen. Da kann man aber drauf setzen, dass die in sechs Wochen auch niemanden mehr interessiert und erst dann wird der Wahlkampf beginnen. Vorher interessieren sich wirklich nur die politisch höchst Interessierten für diese Themen. Einem Großteil der Bürger ist das im Augenblick noch ziemlich egal. Und darauf wird die FDP setzen.
Ob sie es aus der sogenannten Todeszone unter der Fünf-Prozent-Hürde herausbefördert, ist schwierig abzuschätzen. In dieser Zone war sie ja bereits vor dieser Veröffentlichung und vor dem Rücktritt des Generalsekretärs. Für die FDP werden es keine besinnlichen Weihnachten werden.
Das Gespräch führte Romy Hiller für tagesschau24. Für die schriftliche Version wurde es gekürzt und redigiert.