Klimabewegung und Grüne Nicht mehr grün
Lange ging "Fridays for Future" zusammen mit den Grünen auf die Straße. Doch seit die Partei mitregiert, ist das Verhältnis abgekühlt. Heute ruft die Bewegung erneut zu Protesten auf.
Irgendwie sind die Zeiten doch ziemlich anders geworden für die Bewegung "Fridays for Future" in Deutschland: Die Grünen, vor ihrer Regierungsbeteiligung erwünschte Unterstützer, rufen zwar auf zum Klimastreik am 23. September mit ihrem Ziel "eine klimaneutrale Gesellschaft". Aber diesmal ernten sie unter ihrem Aufruf im digitalen Netzwerk Twitter prompt eine verbale Ohrfeige von "Fridays for Future Germany": "Wir demonstrieren am Freitag auch gegen eure Politik!"
Nach der Bundestagswahl hätte man noch denken können, "Fridays for Future" habe ihren Sinn und Zweck erfüllt und sich damit selbst überflüssig gemacht. Denn die Grünen, eine Partei, die schon lange für mehr Klimaschutz kämpft, kam zum ersten Mal seit 16 Jahren wieder an die Regierung. Dies ist zweifellos auch ein Erfolg der Bewegung "Fridays for Future", so sieht man es auch bei den Grünen. Denn die Partei profitierte von der Aufmerksamkeitswelle, die Zehntausende Schülerinnen und Schüler für den Klimaschutz schuf.
"Wir sind in einer neuen Phase"
"Wir sind jetzt in einer neuen Phase", sagt Luisa Neubauer, Aktivistin bei "Fridays for Future", im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Vor drei Jahren seien sie noch auf die Straße gegangen, um die Große Koalition zu überzeugen, "wenigstens mal Klimaschutz zu flüstern". Inzwischen mit - mit den Grünen an der Regierung - würde sich die Ampelkoalition gegenseitig blockieren und in eine "fossile Renaissance" zurückfallen.
Die Ampelkoalition gerät tatsächlich seit dem russischen Angriff auf die Ukraine und der damit ausgelösten Energiekrise zunehmend in die Kritik auch von Klimaforschenden zu wenig zu tun. Und schwupps - entsteht dadurch erneut eine stärkere Legitimation für die klimastreikende Jugend: "Die Bewegung hat jetzt auch eine Funktion als außerparlamentarische Opposition, denn Klimaschutz fällt in der aktuellen Politik ja doch ziemlich hinten runter" - das sagt Brigitte Knopf, die als Klimawissenschaftlerin in dem vom Bundestag eingesetzten "Expertenrat für Klimafragen" sitzt.
Die Physikerin schreibt "Fridays for Future" auch für die vergangenen Jahre seit ihrer Gründung 2018 und der Riesendemo 2019 eine große Wirkung zu: "Ich glaube, dass diese Bewegung einen riesigen Einfluss auf die Klimaschutz-Debatte gehabt hat. Wir Klimaforscher dachten lange, steter Tropfen höhlt den Stein, aber die Politik reagierte viel zu langsam." "Fridays for Future" habe das Thema auf die Straße gebracht und von der Jugend wurde es zu den Eltern an die Abendbrottische der Familien gebracht.
Eigentlich, überlegt Klimaaktivistin Neubauer, müsse die Bundesregierung eine Instanz haben, die sich wirklich für Klimaschutz verantwortlich fühle - und auch die Macht habe, die "fossilen Vorhaben von Scholz, Lindner und Co. auch mal zu stoppen". Doch wie es eine solche nicht gebe, "müssen wir diese Instanz sein, deswegen gehen wir auf die Straße." Da schwingt eine Menge Ernüchterung über die Regierungsbeteiligung der Grünen zwischen den Zeilen mit. Zwar konzentriert sich die Bewegung derzeit in ihren Aufrufen und Plakaten zum Klimastreik eher auf den "fossilen Kanzler Scholz" und greift die Grünen nicht direkt an.
"Sondervermögen" für Klimaschutz gefordert
Und doch werden sie von ihr nun mitverantwortlich gemacht, den Klimaschutz zu vernachlässigen. Öffentlichkeitswirksam forderte Neubauer im Namen von "Fridays for Future" ein eigenes "Sondervermögen" von 100 Milliarden Euro für den Klimaschutz, analog zum im Ukraine-Krieg von der Scholz-Regierung ins Leben gerufenen Sondervermögen für die Bundeswehr. Eine Forderung, die auch Marcel Fratzscher, der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, öffentlich unterstützt. Das zeigt: "Fridays for Future" wird als politischer Akteur ernst genommen. Bei so viel Gegenwind kann die Ökopartei wie ein Schwächling innerhalb der Regierung wirken - das könnte bei der nächsten Wahl Stimmen enttäuschter Klimaschützer kosten.
Doch die Grünen reagieren trotzdem mit Sympathie auf den anhaltenden den Druck von der Straße, der längst über die Jugend und die sehr früh mitunterstützenden "Scientists for Future" hinausgeht. Inzwischen rufen viele weitere gleichgesinnte Gruppen wie Pädagogen, Psychologen oder Azubis mit dem Titel "… for Future" mit zum Streik auf. "Ich bin froh um die Klimabewegung, dass wir von progressiver Seite diese Forderungen haben, wie zum Beispiel die nach 100 Milliarden für den Klimaschutz", sagt die grüne Bundestagsabgeordnete Lisa Badum im Gespräch mit tagesschau.de.
Jede Regierung brauche gesellschaftliche Bewegungen, die sie trügen und auch Handlungsdruck aufbauten: "Weil wir gerade eine Diskussion um Energiepolitik haben, wo es aber öffentlich sehr wenig um Klimapolitik geht", sagt Badum, die von der Fraktion als Obfrau in den Auschuss für Klimaschutz entsandt ist.
Offen, ob es eine Dauerbewegung wird
Auch wenn bei der ersten großen globalen Klimastreik in diesem Jahr für Deutschland nicht mit den Rekordzahlen gerechnet wird, die "Fridays for Future" gemeinsam mit einem großen mitunterstützenden Aktionsbündnis vor der Pandemie 2019 mobilisieren konnte: Der Bewegungsforscher und Politologe Sebastian Haunss schätzt "Fridays for Future" weiterhin als etablierte neue soziale Bewegung ein: "Sie adressiert eine unglaublich wichtige Fragestellung getragen von hoher Relevanz und gesellschaftlicher Akzeptanz".
Letztendlich werde aber für den weiteren Erfolg entscheidend sein, ob es weiterhin zu Massenprotesten kommt. Dies wirke auf Politik, gesehen habe man das an der Anti-AKW-Bewegung, die über viele Jahre mobilisieren konnte.
Der Politologe Wolfgang Kraushaar ist da skeptischer: "Man kann nicht darauf vertrauen, dass es möglich ist, die Mobilisierungsfähigkeit über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg aufrechtzuerhalten." Angesichts des langen Andauerns der Klimakrise sei eine Kooperation mit politisch gewichtigen Partnern auf nationaler wie auf internationaler Ebene unabdingbar. "Dass es den Input durch Greta Thunberg und 'Fridays for Future' gegeben hat, ist großartig, aber bei weitem nicht ausreichend."