Klimapolitik der Bundesregierung Wie grün ist sich die Ampel noch?
Wärmewende, Heizungstausch, verfehlte Klimaziele: Bei der Klimapolitik der Ampelkoalition geht es jetzt ans Eingemachte. Sie bringt manches auf den Weg - aber wird es reichen?
All dies passierte im Regierungsviertel gerade in ein und derselben Woche: Ein grüner Minister, der sagt, wir seien als Land zehn Jahre zu spät dran bei der Wärmewende im Gebäudesektor. Ein Minister von der FDP, der für die Zukunft des Verbrenner-Autos wirbt. Ein Regierungssprecher, der sich bei der Frage verhaspelt, ob der FDP-Verkehrsminister ein Sofortprogramm zum Klimaschutz vorlegen muss oder doch nicht. Kurzum: Die Lage ist derzeit äußerst unübersichtlich, wie es um den Ehrgeiz bei der Klimapolitik der Ampelkoalition steht. Wird hier nur noch um einen Minimalkonsens gerungen?
Dabei fehlte es der Bundesregierung aktuell nun wirklich nicht an Druck von Seiten der Wissenschaft zum Thema: Am Montag erst hatte der noch von der Merkel-Regierung eingesetzte unabhängige Expertenrat für Klimafragen seine Sorge klargemacht: Das Ziel der Treibhausgas-Reduktion bis 2030 könnte verfehlt werden. Diese Mahnung an die Regierung Scholz erfolgte bereits zum zweiten Mal in dieser Legislatur.
Die Sektoren Verkehr und Gebäude haben dem Bericht zufolge die Vorgaben erneut verfehlt. Der bisherige Ausbau im Bereich Wärmepumpen, erneuerbare Energie und Elektromobilität sei nicht ausreichend. Im Verkehrssektor werde es bis 2025 keine Trendwende geben, "wenn wir nicht stärkere Maßnahmen sehen", mahnte der Vorsitzende des Expertenrats, Hans-Martin Henning. Er monierte, dass die Politik noch nicht einmal im Ansatz versuche, "die Aktivitäten zu stabilisieren oder zu begrenzen", sondern von einer Zunahme des Straßengüterverkehrs ausgehe.
Kleine Seitenhiebe innerhalb des Kabinetts
Laut Klimaschutzgesetz müssen dann die entsprechenden Ressorts ein Sofortprogramm liefern. Die Bauministerin und SPD-Politikerin Klara Geywitz arbeitet bereits am zweiten ebensolchen. "Ich halte mich ans Gesetz", sagte sie diese Woche in einer Pressekonferenz, die sie gemeinsam mit dem Klimaschutzminister Robert Habeck zur Wärmewende abhielt. Zweifellos ein Seitenhieb in die Richtung von Verkehrsminister und FDP-Politiker Volker Wissing, der bisher kein Sofortprogramm angekündigt hat.
"Natürlich gelten gesetzliche Rechtslagen für alle. Und vereinbart wurde, das wissen Sie ja, dass das Gesetz novelliert wird. Bis es novelliert ist, gelten die entsprechenden Gesetze", sagte Wirtschaftsminister und Grünen-Politiker Robert Habeck.
Ähnliche Töne kamen am selben Tag aus den Fraktionsgeschäftsführungen von SPD und Grünen im Bundestag: Demnach müsste Wissing innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm vorlegen, mit dem zu hohe CO2-Emissionen im Verkehrsbereich gemindert werden können.
Unbehagen bei SPD und Grünen
Damit legen die Koalitionspartner ihren jüngsten Beschluss im Koalitionsausschuss sehr unterschiedlich aus: In der 30-stündigen XXL-Sitzung Ende März hatte die Ampelkoalition eine Entschärfung des Klimaschutzgesetzes beschlossen: "Die Einhaltung der Klimaschutzziele soll zukünftig anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft werden", heißt es im Beschlusspapier. Damit kann ein Sektor die Verfehlungen eines anderen ausgleichen, was vor allem Wissing helfen dürfte.
Doch schon jetzt ist das Unbehagen darüber bei SPD und Grünen spürbar. Zudem: Ein Entwurf dieses geänderten Klimaschutzgesetzes, das federführend im Hause Habeck erarbeitet werden müsste, liegt noch nicht vor. Im besten Falle kommt es bis Anfang Juni ins Kabinett, darauf scheint die FDP zu kalkulieren. Das wäre dann innerhalb der Dreimonatsfrist - fest verabredet war das jedoch nicht.
Eigene Prioritäten des FDP-Chefs
Dieses Beispiel zeigt gleich zwei aktuelle Merkmale der Ampelkoalition: Zum einen passiert es öfter, dass man über Vereinbartes im Nachhinein wieder neu diskutiert. Zum anderen ist erkennbar, dass die in jüngeren Meinungsumfragen und Landtagswahlen stark angeschlagene FDP verschärft um ein klassischeres Profil bemüht, das sie klar absetzt von Rot-Grün.
Spürbar wurde das im Frühjahr bereits bei Wissings Änderungsaktion gegen das von der EU-Kommission geplante Verbrenner-Aus. Auch Finanzminister Christian Lindner warb diese Woche erneut für die Verbrenner-Technik "made in Germany" bei einer Tagung der Familienunternehmen in Berlin, "freilich mit klimaneutralem Brennstoff". In der etwa halbstündigen Rede des FDP-Chefs fehlte der Begriff "Klimaschutz" gänzlich - obwohl sich die Ampelkoalition prioritär zum klimaneutralen Umbau der Wirtschaft und "Leitmarkt E-Mobilität" verpflichtet hat.
Stattdessen betonte er häufig den "Wirtschaftsstandort Deutschland" - die eigenen Prioritäten des FDP-Chefs sind deutlich. Vorbei die Zeit offenbar, in der Lindner etwas grün-affiner von Erneuerbaren als "Freiheitsenergien" und einer Koalition der "Möglichkeitsräume" sprach, wenn es um die Ampel ging.
Größer werdender Spagat
Diesen größer werdenden Spagat zwischen "FDP classic" und dem Schmerz der Grünen, die eigentlich nicht die einzigen sein wollen, die für Klimapolitik in der Ampel sorgen, trägt der SPD-Bundeskanzler mit - scheinbar gelassen und stoisch. Für Habeck passiert etwa die Heizungswende zehn Jahre zu spät, die FDP pocht dabei auf "Technologieoffenheit".
Aus Sicht von Scholz kommen alle drei Koalitionspartner in ihrer Verschiedenheit zum Zuge, bei aller Verschiedenheit. Er braucht die FDP für den Erfolg seiner Koalition, das weiß er. Deswegen lässt er ihr Beinfreiheit, auch wenn mancher Schritt über den Koalitionsvertrag hinausgeht.
Und so gibt er sich auch gelassen angesichts der Protokollnotiz seines Kabinettsmitglieds Lindner in dieser Woche, der trotz seiner Zustimmung zur Heizungsnovelle von Habeck und Geywitz gleich noch schriftlich Änderungsbedarf attestierte. Das beschlossene Konzept sei sehr gut, so Scholz. Diskutieren wird man weiter darüber. So viel ist sicher.