Die "Spreewälder Gurkentruppe" lädt Schrott von einer ehemaligen Deponie auf den Kahn.
Mittendrin

Frühjahrsputz im Spreewald "Ein bisschen wie bei Indiana Jones"

Stand: 05.04.2024 15:20 Uhr

Die "Spreewälder Gurkentruppe" sammelt zum Frühjahr ehrenamtlich Schrott. Mit ihren Kähnen fahren die vier Freiwilligen durch die Fließe der Spreewälder Touristenhochburg Lübbenau-Lehde.

Leise gleitet der Kahn der Familie Hannemann über die Spree im Lübbenauer Ortsteil Lehde - vorbei an herausgeputzten alten Häusern am Ufer des Dorfes unter Denkmalschutz. Doch die Fracht an Bord passt nicht in die Idylle des Spreewalds. Denn statt Touristen transportieren die Lübbenauer Lukas Hannemann und Tim Richter, die Calauerin Sandra Richter und der Berliner Paul Rösler Müll über das Wasser.

"Das können wir meistens immer nur nach den Wintermonaten machen", erzählt der Initiator der "Spreewälder Gurkentruppe", Paul Rösler. Denn dann brüteten die Tiere noch nicht. Die Natur lasse ihn auch nur wenige Wochen.

#mittendrin aus Lübbenau: Freiwillige sammeln Schrott und Müll im Spreewald

Mirja Fiedler, RBB, tagesthemen, 04.04.2024 22:15 Uhr

Vom Paddler zum Müllsammler im Spreewald

Eigentlich wollte der gelernte Veranstaltungskaufmann hier während einer Paddeltour vor drei Jahren nur Fotos machen. Aber statt Blumen entdeckte Rösler am Ufer der Spree Schrott. Den wollte der heute 41-Jährige dort nicht liegen lassen. Deswegen fährt er jetzt jedes Frühjahr mit Freunden freiwillig zum Müllsammeln.

"Asbestplatten sind ganz schlimm, finde ich, und Plaste", meint Sandra Richter und zeigt, was sie in der vergangenen zwei Stunden gefunden haben. "Diese Folien, die jetzt langsam zerfallen." Daneben stapeln sie alte Aluminiumliegen, einen Handwagen und ein verrostetes Ölfass. Ihr Ziel heute: eine ehemalige Deponie am Rande einer der beliebten Touristenrouten.

Urlauber staunen über Kahn mit Schrott

Viele Urlauber staunen, wenn die "Spreewälder Gurkentruppe" mit ihrem Kahn an ihnen vorbeizieht. "Finde ich super", sagt Annie Behrens spontan von einem Kahn voll mit Touristen nur wenige Meter entfernt auf dem Wasser. Müll freiwillig zu sammeln sei immer eine gute Sache.

Dem pflichten andere Urlauber bei. "Also Müll hat hier gar nichts zu suchen", erklärt Volker Fröhlich. "Ist ja alles Naturschutzgebiet normalerweise."

Kahnfahrer Rainer Wendenburg stakt seine Gäste mit einer vier Meter langen Holzstange durch die Spree. Der Fährmann beobachtet: "Es ist deutlich besser geworden - vor allen Dingen, seitdem es auf die Flaschen Pfand gibt."

Paul Rösler, Sandra Richter und Lukas Hannemann am Steuer des Kahns im Spreewald

Bis zu drei Mal im Jahr trifft sich die "Spreewälder Gurkentruppe" zum Müllsammeln.

Müll aus der ehemaligen DDR

Die "Spreewälder Gurkentruppe" hat an einem der Fließe kurz gestoppt. "Wir fahren gleich weiter", ruft Paul Rösler vom Ufer Tim Richter auf dem zweiten Kahn zu. "Es lag einfach nur genug hier. Nimmst du den Fahrradreifen da?" Sandra Richter sortiert die kaputten Gummireifen auf dem Kahn. "Und Flaschen. Flaschen, Flaschen, Flaschen."

Im Gebüsch finden sie oft mehr als 35 Jahre alten Müll. Paul Rösler studiert die Etiketten: "Guck mal! Marmelade zu DDR-Zeiten!" Der Ehrenamtliche zeigt Verständnis für ältere Generationen: "Mich ärgert es nicht. Es war ein anderes Bewusstsein." Ihn ärgere mehr, dass es heute wenige Leute gebe, die sich dessen annähmen.

Toilettenschüssel im Morast

Sein Motto: Anpacken statt meckern. Den 25 Jahre alten Handwerker und Wasserbauer Tim Richter aus Lübbenau lernte der Berliner über die Social-Media-Plattform Instagram kennen, die 45 Jahre alte Floristin Sandra Richter im Lübbenauer Kanuverein und den Fliesenleger und Kahnfährmann Lukas Hannemann über dessen Familie, als Paul Rösler dort im Betrieb für Freunde Boote ausleihen wollte.

Bis zu drei Mal im Jahr treffen sie sich nun für eine Müllsammel-Tour - mit Hindernissen. "Ich komme hier nicht raus", ruft der Berliner dem Fährmann Lukas Hannemann zu. "Du hast die Wurzel so schön genommen." Das Anlegen klappt dann doch.

An Land folgt der nächste Fund. "Ein bisschen so wie bei Indiana Jones", erzählt Paul Rösler, der mit Spaten und Händen im Dreck gräbt, nachdem sich weiße Scherben durch die Erde im Unterholz drückten. "Was wohl darunter liegt? Vielleicht ist es auch die Neugierde, die einen treibt." Der Ehrenamtliche hat einen Verdacht: "Also ich würde eine Kloschüssel sagen. Es könnte aber auch ein Waschbecken sein."

Der Berliner versucht, es mit Humor zu nehmen. "Das wird jetzt noch sehr witzig. Ich glaube, jetzt kommt sie - und ohne Handschuhe würde ich persönlich hier auch nichts anfassen."

Der Kahn der "Spreewälder Gurkentruppe" fährt durch das Spreewalddorf Lehde, das unter Denkmalschutz steht.

Das Spreewalddorf Lehde steht unter Denkmalschutz.

"Das war früher normal"

Freiwillig kniet Paul Rösler im Matsch. "Ich tue das tatsächlich, weil wir eine gewisse Verantwortung haben - für uns, für die Umwelt", erklärt er. "Natur kann sich nicht wehren. Sie ist uns ausgeliefert."

Die anderen drei stammen aus dem Kreis Spreewald-Lausitz. "Das war ja früher normal", sagt Sandra Richter über ihre Eltern und Großeltern. "Die Älteren wissen genau, wo so eine illegale Müllhalde ist." In der ehemaligen DDR habe es keine Mülltrennung in dem Sinne gegeben. "Das wurde aber nicht bestraft."

Die Calauerin hält eine alte Flasche mit einer braunen Flüssigkeit in der Hand: "Das ist was, wo man nicht weiß, was drin ist. Und das liegt halt im Wasser im Biosphärenreservat."

Freiwillige müssen Müll zurücklassen

Dort warten noch weitere Überraschungen. "Ach, Scheibenkleister!", ruft Paul Rösler, als er mit Gummistiefeln mehr als knöcheltief im Wasser der ehemaligen Deponie steht. Dort ragt ein weißer Schrank heraus. "Die Tür davon war ein 'AK irgendwas', und das ist eigentlich für… Akklimatisationstechnik hieß das in der DDR, glaube ich."

Der Kühlschrank sitzt fest im Schlamm. Auch gemeinsam bekommen sie ihn nicht aus dem Morast. "Der sitzt schon zu tief", meint der Berliner, der stolz einen Aufnäher mit Logo für die "Spreewälder Gurkentruppe" entworfen hat.

Schrottentsorgung in Lübbenau

"Ja, dann machen wir Boarding", meint Fährmann Lukas Hannemann. Der Kahn müsse noch gesäubert werden. "Der stinkt jetzt natürlich voll nach Modder." Er wolle damit bald auch wieder Gäste durch den Spreewald fahren.

Vorher steuert der Lübbenauer aber den Bauhof seiner Heimatstadt an. "Es erleichtert einen jedes Mal", meint Sandra Richter, als die vier gemeinsam auf dem Kahn Bier trinken. "Ich finde das sehr befreiend."

Die "Spreewälder Gurkentruppe" entsorgt Schrott am Bauhof in Lübbenau.

Am Bauhof in Lübbenau darf die "Spreewälder Gurkentruppe" den Müll kostenlos abladen.

Verantwortliche verteidigen sich mit Zuständigkeiten

In der Touristinformation in Lübbenau begrüßt der stellvertretende Geschäftsführer des Vereins, Daniel Schmidgunst, die Aktion der "Spreewälder Gurkentruppe": "Man kann halt immer nur hoffen, dass nicht ein altes Fass mal aufgeht und dann wirklich irgendetwas Giftiges herauskommt."

Am Bauhof dürfen Paul Rösler und seine Freunde den Müll kostenlos abladen. Dort erklärt der Fachbereichsleiter Stadtentwicklung Lübbenau/Spreewald, Sven Blümel, warum der Schrott seit Jahrzehnten in der Natur liegt: "Wir haben ja hier viele Gemengelagen."

Für die unterschiedlichen Gewässer gebe es verschiedene Zuständigkeiten. "Es sind ja auch Gewässer erster Ordnung. Die gehören zum Land, also auch da die Uferbereiche", sagt Blümel. "Wir haben Gewässer zweiter Ordnung. Da ist die Stadt zuständig. Aber es kann natürlich auch sein, sie holen Müll von privaten Flächen, wo eigentlich der private Eigentümer zuständig wäre."

Darauf will Paul Rösler nicht warten. "Das Ziel wäre es, uns überflüssig zu machen, ja. Aber…" Der Berliner schüttelt den Kopf und lacht, weil er nicht daran glaubt. Er schätzt, dass allein seine "Spreewälder Gurkentruppe" noch fünf Jahre brauchen wird, um nur die eine ehemalige Deponie von den Altlasten zu befreien.

Jetzt braucht die Natur dort aber Ruhe. Erst im kommenden Frühjahr wollen sie weiteren Müll sammeln - wenn der Schrott wieder zwischen den Sträuchern der Spree hervorkommt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 04. April 2024 um 22:15 Uhr.