
Schleswig-Holstein Lange Wartezeiten auf Ausweise für Schwerbehinderung
Zu wenig Personal und keine digitale Vernetzung mit den Ärzten. Wer in Schleswig-Holstein einen Schwerbehinderten-Ausweis bekommen möchte, muss mit langen Wartezeiten rechnen.
Im Dezember hat sich das Leben von Gabriele Ingwersen auf den Kopf gestellt. Sie bekam die Diagnose Lungenkrebs. Es folgten eine Chemotherapie und etliche Arztbesuche, die sie meist gemeinsam mit ihrem Mann Bernd machte. Alleine Laufen war vor allem zu Beginn der Krankheit kaum möglich für Sie.
"Das sind schon viele, viele Sachen, mit denen man sich da auseinandersetzen muss, aber wir haben echt viele, die uns unterstützt und geholfen haben", ist sie froh und beantragte Ende Februar beim Landesamt für soziale Dienste einen Schwerbehindertenausweis. Sie hofft, dass er zeitnah per Post geschickt wird, denn für sie ist er wichtig im Alltag. Damit darf sie zum Beispiel den öffentlichen Nahverkehr umsonst nutzen, einen Parkausweis für einen Behindertenparkplatz beantragen, zudem gibt es steuerliche Entlastungen.

Gabriele und Bernd Ingwersen aus Bredstedt hoffen, dass der Schwerbehindertenausweis nicht lange auf sich warten lässt. Ende Februar haben sie ihn beantragt.
"Überall wird dieser Ausweis verlangt, und es dauert sehr lange, bis der erstellt ist", kritisiert Horst Rieger, Behindertenbeauftragte der Stadt Schleswig das Verfahren. "Es ist eigentlich das wichtigste Dokument, was ein Schwerbehinderter braucht. Sei es ein Parkausweis, sei es beim Sozialamt irgendetwas, überall wird dieser Schwerbehindertenausweis zum Teil verlangt." Und es dauert sehr lange, bis der erstellt ist, ergänzt er.
Zu wenig Personal für zu viele Anträge
564.000 Menschen in Schleswig-Holstein haben eine Behinderung, 325.000 davon eine schwere. Alleine im vergangenen Jahr gab es 70.000 Neuanträge, so Mathias Großmann, Direktor des Landesamtes für soziale Dienste mit Sitz in Neumünster. Und genau das ist das Problem, sagt er, denn er hat nach Personalschlüssel nur Mitarbeiter für 61.000 Neuanträge zur Verfügung. Die Folge: Verzögerung bei der Bearbeitung. Bei Neuanträgen müssen die Antragsteller derzeit zwischen fünf und sechs Monaten warten.
Wartezeit beträgt mehr als fünf Monate
Auch das Zusammenspiel zwischen Arzt und Amt laufe nicht immer reibungslos, so Großmann. "Auch dort kommt es zu Verzögerungen, dass uns diese Gutachten zur Verfügung gestellt werden", so der Vorwurf und spielt damit auf lange Bearbeitungszeiten seitens der Ärzte an. Die Ärzte und Kliniken sind ein wichtiges Rädchen im System, denn sie sind es, die auf Aufforderung vom Amt Berichte und Befunde schreiben und zur Beurteilung der Schwere der Einschränkung zur Verfügung stellen müssen.
Eine digitale Schnittstelle fehlt
Und so schicken sich Ärzte und Landesämter pro Fall viele Dokumente hin und her. Und das alles per Post, denn eine digitale Schnittstelle zwischen ihnen gibt es nicht. Der Husumer Neurologe und Psychiater Christian-Eberhard von der Weyden bearbeitet pro Woche zwischen fünf und zehn dieser Anträge und achtet auf zügige Bearbeitung, denn schließlich benötigen seine Patienten den Ausweis, sagt er. Für ihn ist die schnelle Bearbeitung deshalb selbstverständlich. "Im Regelfall versuchen wir die Anträge innerhalb einer Woche zu bearbeiten, aber das Problem ist, dass jeder Antrag postalisch erledigt wird. Und das kann dauern", so der Neurologe.

Der Husumer Neurologe und Psychiater Christian-Eberhard von der Weyden bearbeitet pro Woche zwischen fünf und zehn Anträge.
Denn manchmal gibt es Nachfragen oder es werden zusätzliche Dokumente angefordert, die dann auch wieder per Post geschickt werden. Den kompletten Vorgang beschreibt er so: "Der Antragsteller druckt sich eine pdf-Datei aus, dann schickt er es per Post wieder dorthin. Dann entscheidet das Landesamt für soziale Dienste, welche Ärzte angeschrieben werden, auch per Post. Und dann wird darin eine bestimmte Fragestellung geäußert. Das Ganze wird beantwortet - wieder per Post und geht dann ans Landesamt. Und das beinhaltet ja schon mal eine Zeitstrecke von mehreren Wochen", sagt der Neurologe und kann über das System nur den Kopf schütteln.
Nicht selten werden ganze Stapel an Dokumenten per Post verschickt, die dann bei Rückfragen auch wieder zurückkommen, so der Vorsitzende des Hausärzteverbandes Jens Lassen. Er fordert ein Umdenken und eine Digitalisierung. "Ich meine wo leben wir denn? Wir müssen jetzt mal irgendwie den viel zitierten Weg der Digitalisierung gehen. Und der Staat taugt da wirklich als Beispiel dafür, dass er in der Hinsicht noch gar nichts gemacht hat", so Lassen weiter.
Antragstellung bald auch digital möglich
Mathias Großmann vom LASD hält dem Probleme mit dem Datenschutz entgegen und verweist auf den ersten Erfolg. Noch in diesem Jahr solle es für Patientinnen und Patienten möglich sein, zumindest den Antrag digital beantragen zu können. Am entsprechenden System wird derzeit gearbeitet, so Großmann. Viele Antragsteller, so seine Erfahrung, wollen aber lieber noch den alten Weg nutzen und Anträge per Post schicken. Denn auch die Nutzung eines PCs oder Smartphones ist für eingeschränkte Menschen oft schwierig. Schon ein Dokument einzuscannen sei für viele ein Problem, so der Behindertenbeauftragte in Schleswig Horst Rieger.
Schwerbehindertenbeauftragte im Land bieten Hilfe an
Auf welchem Weg der Antrag das Landesamt erreicht, ist zweitrangig, so der Schwerbehindertenbeauftragte der Stadt Schleswig. Viel wichtiger ist das korrekte Ausfüllen, sagt er und bietet hier seine Hilfe an. Denn wenn schon der Antrag fehlerhaft ist, wird es Rückfragen geben, per Post. Und schon dann beginnt eine Verzögerung, so Horst Rieger. "Zum Teil hängt es auch an den Antragstellern selber, weil die sich nicht richtig erkundigen", ergänzt er. Und dann werden oftmals falsche oder zu wenig Unterlagen eingereicht.
Und die hatte sich zu Beginn auch Gabriele Ingwersen geholt und den Antrag mit einem Freund und ihrem Mann bearbeitet. Jetzt hofft sie, dass der Ausweis nicht Monate auf sich warten lässt.
Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 03.04.2025 | 19:30 Uhr