Strukturelles Problem in Kliniken Ärztinnen werden systematisch diskriminiert
Die Mehrheit der Ärztinnen an Unikliniken haben in ihrem Berufsleben geschlechtsbezogene Diskriminierung erlebt. Frauen, die gegen die Diskriminierung vorgehen, werden systematisch aus dem Beruf gedrängt, zeigen Recherchen von Report Mainz.
"Meine Schwester ist vernichtet worden. Und das kann ich nicht hinnehmen. Ich möchte es nicht im Raum stehen lassen, dass man so mit einer Ärztin umgegangen ist", sagt Bettina Oertel. Sie erhebt im Interview mit Report Mainz schwere Vorwürfe.
Fast genau ein Jahr ist es her, dass sich ihre Zwillingsschwester Elke das Leben genommen hat. Dabei war Elke Küßner eine erfolgreiche Oberärztin am Klinikum Friedrichshafen am Bodensee.
Doch Küßner war überzeugt, dass in ihrem Klinikum etwas schief laufe - Assistenzärzte seien schlecht ausgebildet, würden Patienten falsch behandeln. Ein Mensch sei deshalb gestorben. Küßner meldet das ihrem Chefarzt, hofft auf eine konstruktive Lösung.
Drohungen vom Chefarzt, Mobbing durch die Kollegen
"Sie hat mir aus diesem Gespräch berichtet: Sie war furchtbar erschüttert, weil die Reaktion ihres Vorgesetzten wohl war, sie solle dieses Thema nicht mehr problematisieren, sie solle es nicht mehr thematisieren", sagt Oertel.
Das Melden von Missständen macht Küßner zur unbequemen Mitarbeiterin - es ist der Anfang vom Ende ihrer Karriere. Sie gerät ins Abseits, wird von den Kollegen gemobbt. Laut einem von der Klinik hinzugezogenen Gutachten heißt es, sie sei als Ärztin "überfordert".
Katja Nebe, Leiterin des Lehrstuhls für Arbeitsrecht an der Universität Halle, sagt: "Hier wird die Person, die eine Rechtsverletzung reklamiert hat - und damit ja eigentlich Opfer ist - in der sofortigen Reaktion zum Täter stilisiert. Und es ist dann immer der einfachste Reflex, sich auf die Seite des Mächtigeren zu stellen." Auch die Klinikleitung glaubt Küßner nicht und steht hinter dem Chefarzt.
Machtgefälle sind großes Problem
Ferda Ataman ist die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes. Ihre Behörde bietet unter anderem Beratung für Menschen, die diskriminiert werden. Gerade der Gesundheitsbereich mit den dortigen, steilen Hierarchien sticht heraus.
"Es braucht Hierarchien, um Verantwortung zu verteilen. Das ist nachvollziehbar. Was aber nicht gut ist und manchmal auch zu einem toxischen Arbeitsklima führen kann, ist, wenn es ein Machtgefälle gibt, also wenn eine Person nahezu gottgleich das Sagen hat und andere darum fürchten müssen, ihren Job zu verlieren", so Ataman.
"Wir hatten auch hier in der Antidiskriminierungsstelle des Bundes immer wieder Fälle aus dem Gesundheitsbereich, wo uns Frauen berichtet haben, und Angst hatten, dass wir uns beim Arbeitgeber melden, weil sie eben fürchteten, dass sie entweder gefeuert werden oder Nachteile am Arbeitsplatz haben", so Ataman weiter.
Ärztinnen erlebten mehrheitlich Diskriminierung
In diesem hierarchisch geprägten Arbeitsumfeld sind Grenzüberschreitungen, Belästigung und Diskriminierung offenbar an der Tagesordnung, wie die Wissenschaftlerinnen Marie Ritter und Margarete Boos herausgefunden haben. In ihrer Befragung, an der mehrere hundert Ärztinnen und Medizinstudentinnen teilgenommen haben, gaben 76 Prozent der Ärztinnen an, in ihrer Berufslaufbahn geschlechtsbezogene Diskriminierung erfahren zu haben.
Obwohl Frauen seit Jahren die Mehrheit der Absolventen im Fach Humanmedizin ausmachen (im Jahr 2023 war es 62,6 Prozent Frauen) haben sie nach wie vor schlechte Chancen, Karriere zu machen. An Unikliniken sind knapp 13 Prozent der Chefarztposten an Frauen vergeben.
"Strukturelles Problem, viele werden diskriminiert"
"Wenn von zwei Drittel der Frauen, die Medizin studieren, am Ende nur jede zehnte Karriere machen kann, Chefärztin werden kann, dann gibt es strukturelles Problem. Das heißt: Viele werden diskriminiert", sagt die Antidiskriminierungsbeauftragte Ataman. Bisher werde immer gesagt: Die Besten kämen durch. Aber solche Statistiken zeigten laut Ataman, dass es eben nicht so ist.
"Es kann nicht sein, dass so viele Frauen - so viele - nicht gut genug sind, um Chefärztin zu werden. Und wenn man dann schaut, was passiert in den Krankenhäusern? Was ist das für ein Arbeitsumfeld? Dann merkt man, dass das eben eines ist, das sehr nach traditionellen Geschlechterrollen aufgestellt ist", so Ataman.
Keine Frauenquote in Spitzenpositionen
Hilfe vom Gesetzgeber gibt es für die Frauen keine. Auf Report-Mainz-Anfrage erklärt eine Sprecherin des Bundesministeriums für Gesundheit: "Aufgrund der gegenwärtigen politischen Lage können derzeit keine neuen Regelungsvorhaben, wie die Festsetzung einer Frauenquote in Spitzenpositionen in Krankenhäusern, angegangen werden. Solche Bestrebungen obliegen den Koalitionsverhandlungen der zukünftigen Bundesregierung."
Als weibliche Oberärztin, die sich einem Chefarzt widersetzt, hat Elke Küßner im November vergangenen Jahres aufgegeben. An dem Tag, an dem sie von ihrer geplanten fristlosen Kündigung erfährt, nimmt sie sich das Leben.
Ihr Suizid hat die Klinik Friedrichshafen zu internen Ermittlungen veranlasst. Die haben ergeben, dass Küßners Vorwürfe in relevanten Punkten berechtigt waren. Im Juli verkündet der damalige Aufsichtsratsvorsitzende des Klinikums, Andreas Brand: "Der Aufsichtsrat hat in sorgfältiger Abwägung beschlossen, dass wir die Zusammenarbeit mit einem Chefarzt nicht fortsetzen werden."
Schwester will weiterkämpfen
Obwohl das Verhalten des Chefarztes am Ende doch noch Konsequenzen hatte: Bettina Oertel wird den Kampf ihrer verstorbenen Zwillingsschwester trotzdem weiterkämpfen. "Wenn dadurch, dass ich die Geschichte meiner Schwester erzähle, Schicksale von anderen Mitarbeitern in Krankenhäusern vermieden werden können, dann ist das das Ziel, was ich erreichen möchte. Für meine Schwester."
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