CDU Den Tabubruch wird Merz nicht mehr einfangen können
Seit Wochen liefert CDU-Chef Merz die Begleitmusik für das Umfragehoch der AfD. Auch wenn er seine Aussagen zu einer Zusammenarbeit inzwischen korrigiert hat: Den Tabubruch wird er nicht mehr einfangen können.
Es ist unklar, wann die "Brandmauer" der CDU gegen die AfD den ersten wirklichen Riss bekommen hat. War es 2019, als die zwei stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU im Landtag von Sachsen-Anhalt "das Soziale mit dem Nationalen versöhnen" wollten? Mit einem internen Diskussionspapier riefen sie ihre Partei im Grunde dazu auf, sich stärker an der AfD auszurichten.
Oder war es im vergangenen Dezember, als im Kreistag im sächsischen Bautzen die dortige CDU-Fraktion mehrheitlich dafür stimmte, Integrationsleistungen für ausreisepflichtige Menschen zu kürzen? Den Antrag hatte die AfD gestellt.
Oder war es doch am Sonntag, als Parteichef Friedrich Merz im ZDF-Sommerinterview sagte, es müsse in den Kommunalparlamenten auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet - auch mit der AfD? Der Bundesbeschluss von 2018, mit dem sich die Partei auferlegt hat, weder mit der Linken noch mit der AfD zusammenzuarbeiten, gelte auf Kommunalebene nicht.
Bislang kaum bis keine Konsequenzen bei AfD-Annäherung
Merz wollte als Parteichef mal jeden aus der Partei schmeißen, der "die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten". Das hatte er vor Amtsantritt gerade Richtung Ost-CDU gesagt. Dazu kam es dann aber nicht.
Gleichsam hat Merz auch seine Aussagen vom Sonntag mittlerweile korrigiert - nach heftiger Kritik von außerhalb, aber auch innerhalb der CDU und CSU. Doch das ändert nichts daran, dass er zunächst einmal nur beschrieben hat, was längst Realität ist.
In den vergangenen Jahren hat es Dutzende Einzelfälle gegeben, wo andere Parteien mal mehr, mal weniger direkt mit der AfD gestimmt oder sich abgestimmt haben. Das betrifft nicht nur die CDU - aber eben besonders oft. Sie ist auch die einzige Partei, in der Amts- und Mandatsträger immer wieder Debatten über das Verhältnis zur AfD anstoßen. Passiert ist in den meisten Fällen: nichts.
Auf die Abstimmung in Bautzen etwa reagierte man in Berlin entsetzt. Auf Landesebene soll es zudem klärende Gespräche gegeben haben. Rücktritte oder Parteiausschlussverfahren blieben allerdings aus. Auch die zwei Fraktions-Vize in Sachsen-Anhalt mussten erst zwei Jahre später ihre Posten räumen - nachdem Ministerpräsident Reiner Haseloff mit einem klaren Anti-AfD-Kurs die Landtagswahl gewonnen hatte.
Merz hat mit seinen Aussagen nun aber alle bisherigen Zusammenarbeiten nachträglich legitimiert. Und, darin liegt die eigentliche Wucht, er öffnet jenen CDU-Kommunalpolitikern die Tür, die sich bislang zurückgehalten haben, mit der AfD zu stimmen.
Es geht nicht nur um Straßen und Kitas
Dabei zählt der Einzelfall. Natürlich muss man mit einem AfD-Landrat oder -Bürgermeister vor Ort sprechen. Nicht nur in der CDU. Nur regieren die obersten Beamten ihre Kommunen nicht allein. Sie sind auf Mehrheiten in Kreistagen, Stadt- und Gemeinderäten angewiesen.
Da geht es um Spielplätze, Straßen und Kitas, wie von Merz betont wird. Da geht es aber auch um die Unterbringung von Asylsuchenden, die Gestaltung öffentlicher Toiletten, kommunale soziale Dienste, Radwege, das Aufstellen von Windrädern und Partnerschaften mit russischen Gemeinden. Kurz: Selbst auf Kommunalebene finden Debatten statt, die aktuell politisch aufgeladen werden können und die die AfD zu besetzen versucht.
Zudem droht ein Domino-Effekt. Mit den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im kommenden Jahr wollen einige CDU-Politiker von der Kommunalpolitik in den Landtag wechseln, die schon heute die "Brandmauer" ganz offen für nicht praktikabel halten. Manche beziehen darin auch die Abgrenzung zur Linkspartei ein, andere nicht.
Noch sind sie nicht als Kandidaten aufgestellt, durch Merz müssen sie sich aber gestärkt sehen. Das AfD-offene CDU-Lager innerhalb der Landtage könnte so wachsen. Und wenn die Wahl des FDP-Ministerpräsidenten auf Kurzzeit mit Stimmen von CDU und AfD in Thüringen 2020 eins gezeigt hat, dann das, dass Berliner Parteizentralen keinen Zugriff auf Landtagsfraktionen haben. Schon gar nicht, wenn diese sich wie im Fall der CDU zu einem großen Teil aus direkt gewählten Abgeordneten zusammensetzen.
Die eigenen Leute zeigen sich von Merz genervt
Dabei hat man in den ostdeutschen Bundesländern, wo die AfD seit Jahren stark ist, lange einen anderen Umgang gepflegt: Die Partei wurde oft ignoriert, außerhalb des Wahlkampfs fast gar nicht erwähnt. Man sorgte sich bestenfalls um die Wähler, wenn gerade wieder eine neue Umfrage erschien. Das passiert in Sachsen oder Brandenburg allerdings alle paar Monate - und nicht wie im Bund mehrmals pro Woche.
Merz aber reiht seit Wochen im Umgang mit der AfD Patzer an Patzer. Er schrieb die AfD in einer Rundmail zum "heftigen Denkzettel" hoch. Er präsentierte eine "Agenda für Deutschland", kurz: AfD. Erst am Donnerstag nannte Merz die Union eine "Alternative für Deutschland mit Substanz". Und jetzt die neuen Aussagen.
Merz liefert so die Begleitmusik zum Umfragehoch der extrem rechten Partei. Wie er sich dabei anstellt, lässt die AfD jubilieren. Er normalisiert die extrem rechte Partei trotz aller anders lautenden Bekundungen.
Selbst Parteifreunde, die Merz sonst inhaltlich beipflichten, zeigen sich im Hintergrund genervt vom Agieren des CDU-Chefs. Und die, die diese Positionierungen ablehnen, zeigten das am Sonntagabend vehementer denn je.
So profitiert nur die AfD vom Merz-Kurs. Und Olaf Scholz. Weil Merz so präsent ist, fragt gerade kaum jemand, was eigentlich der SPD-Bundeskanzler gegen die bundesweit angespannte Lage zu tun gedenkt.