Fachkräftemangel Dienstwohnung gegen die Personalnot
Fachkräfte werden in fast allen Branchen dringend gesucht. Immer mehr Firmen bieten deshalb eigene Mitarbeiterwohnungen - ein Vorteil auf dem angespannten Wohnungsmarkt.
Francine Hannig steht in der Küchenzeile ihrer kleinen Wohnung. Obwohl gleich ihre Schicht im Hotel beginnt, hat die 19-Jährige noch Zeit für einen Kaffee. Denn zu ihrer Arbeitsstelle benötigt sie zu Fuß keine zehn Minuten. Die Auszubildende wohnt in einer Mitarbeiterwohnung, die das "Sonnenalp Resort" in Ofterschwang bereitstellt.
Ohne das Angebot, in der Nähe des Hotels auch wohnen zu können, hätte sie ihren Ausbildungsplatz nicht annehmen können, sagt Francine: "Ich komme nicht aus dem Allgäu und habe meine Ausbildung mit 16 Jahren begonnen, damals hatte ich natürlich noch kein Auto."
Für ihre 25 Quadratmeter zahlt sie monatlich 300 Euro warm, möbliert samt Stellplatz. Deutlich weniger als der sonst übliche Mietpreis im Oberallgäu - falls man dort überhaupt eine Wohnung findet.
Die Ansprüche sind gestiegen
Bereits seit den 1960er-Jahren bietet das Fünf-Sterne-Hotel Dienstwohnungen für seine Angestellten. Aus anfänglich 30 Zimmern sind mittlerweile 170 Appartements geworden. Zwischen 8,50 Euro und 12,50 Euro kostet der Quadratmeter.
Jakob Fäßler, mittlerweile die fünfte Generation im Familienbetrieb, möchte noch in diesem Jahr weitere Wohnungen bauen. Doch die Ansprüche seien gestiegen, Arbeitgeber müssten heute deutlich mehr bieten. Statt Etagenbad oder Gemeinschaftsküche wünschten sich die Mitarbeiter einen Wohnraum, in dem sie auch wirklich leben könnten. Fäßler betont: "Wenn man Wohnungen hat, bekommt man Mitarbeiter, hat man keine Wohnungen, bekommt man keine."
Diese Ansicht teilt auch die Industrie- und Handelskammer (IHK). In Hotellerie und Gastronomie seien Dienstwohnungen schon lange üblich. Doch auch für andere Branchen werde es immer lohnender, darüber nachzudenken. Gerade wenn es darum gehe, qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben. Diese bekämen dadurch das Gesamtpaket aus Arbeit plus Wohnraum, erklärt Björn Athmer, Regionalgeschäftsführer der IHK im Allgäu. Der Fachkräftemangel sei enorm, der Wohnraum überall knapp.
Größter Wohnungsmangel seit über 20 Jahren
Wie groß der Mangel an Wohnraum ist, belegt eine aktuelle Studie des Hannoveraner Pestel-Instituts und des schleswig-holsteinischen Bauforschungsinstituts ARGE. Demnach drohe für das Jahr 2023 ein Rekord-Wohnungsmangel, in Deutschland fehlten über 700.000 Wohnungen - und damit so viele wie seit mehr als 20 Jahren nicht mehr. Das wirke sich auch auf die Mietpreise aus. Gerade in Ballungsräumen stiegen die Mieten immer weiter.
Um für Bewerber attraktiv zu sein, besitze das Thema Wohnen für Unternehmen daher eine große Relevanz, so Athmer von der IHK. Wer es sich nicht leisten könne, Dienstwohnungen selbst zu bauen und zu unterhalten, könne zumindest überlegen, wie man Bewerber bei der Suche nach Wohnungen unterstützen kann.
Ein Umdenken findet statt
Ihren historisch größten Aufschwung erlebten Dienstwohnungen zur Zeit der Industrialisierung. Mit dem steigenden Bedarf an Arbeitskräften, wuchs bei vielen großen Industrieunternehmen auch das Angebot an Dienstwohnungen. In den 1990er-Jahren allerdings trennten sich viele Unternehmen wieder von ihren Immobilien, freuten sich über die Einnahmen aus dem Verkauf. Insbesondere Änderungen im Steuerrecht machten die Bereitstellung und den Unterhalt von Mitarbeiterwohnungen deutlich weniger lohnenswert.
Nun aber, so Björn Athmer von der IHK, finde ein Umdenken statt. Im Wettkampf um qualifizierte Arbeitskräfte gewinne das Thema wieder an Brisanz. Viele Unternehmen kämen ins Überlegen und suchten nach Bauland, um Dienstwohnungen anzubieten.
Investition in die Zukunft
Ein Unternehmen, das diesen Schritt ganz neu gehen will, ist das Bauunternehmen Kutter aus dem bayerischen Memmingen. Zum ersten Mal in der fast 100-jährigen Geschichte sollen auf einem Gelände unweit der Firmenzentrale eigene Dienstwohnungen entstehen - zwei Gebäude mit insgesamt 60 Appartements.
Vor allem angeworbene Fachkräfte aus dem Ausland hätten somit zumindest für die Anfangszeit eine arbeitsplatznahe Unterkunft, erklärt Geschäftsführer Ulrich Dick, und könnten dann vor Ort ohne Zeitdruck nach einer dauerhaften Bleibe suchen.
Ulrich Dick, Geschäftsführer des Bauunternehmens Kutter, betrachtet fertige Pläne: Wo momentan noch Autos und Transporter parken, sollen bald schon 60 Mitarbeiterappartements entstehen.
Die Entwürfe für die Apartments gibt es schon, rund drei bis fünf Millionen Euro wird der Neubau kosten. Für Ulrich Dick eine wichtige Investition in die Zukunft: "Wir wissen, dass in den nächsten Jahren sehr viele altgediente Kolleginnen und Kollegen in den Ruhestand gehen werde. Und allein, um diese Stellen nachzubesetzen, müssen wir umfangreich Personal einstellen. Wir hoffen, uns als Arbeitgeber mit Wohnungen sehr viel attraktiver präsentieren zu können." Gerade im Tief- und Straßenbau fehlten wichtige Arbeitskräfte.
Der Arbeitgeber als Vermieter hat auch Nachteile
Auch die Gewerkschaften wünschen sich ein größeres Angebot an Dienstwohnungen. Und das, obwohl sich der Arbeitnehmer natürlich in eine größere Abhängigkeit begebe, erklärt Ludwin Debong, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Allgäu. Sicherlich werde es für den Beschäftigten damit deutlich schwieriger, sich eine andere Arbeit zu suchen oder den Arbeitgeber zu wechseln. In der jetzigen Situation aber würden die Vorteile ganz deutlich überwiegen.
Denn Wohnen werde langsam zum Luxus, die Mietpreisentwicklung kenne seit Jahren nur eine Richtung: steil nach oben. Gleichzeitig hätten die jüngsten Krisen wie Corona und Ukraine-Krieg dazu geführt, dass Wohnungsbaugesellschaften sehr zurückhaltend seien und kaum noch neue Wohnungen bauten. "Die Lage ist katastrophal und jede Mietwohnung hilft", sagt Debong.
Neue Anreize für Unternehmen?
Umso wichtiger sei es, die Unternehmen in ihrem Bemühen, neue Mitarbeiterwohnungen zu bauen, auch zu unterstützen, betont Björn Athmer von der IHK. Neben einem Abbau der Bürokratie brauche es vor allem Anreize, "vielleicht auch steuerlich investiver Art".
Würden Betriebe mehr Werkswohnungen bauen, führe das langfristig auch zu einer Entlastung auf dem insgesamt angespannten Mietwohnungsmarkt.