Munition im Meer Schleichende Gefahr in der Tiefe
1,6 Millionen Tonnen Kriegsmunition schlummern im deutschen Teil von Nord- und Ostsee - eine Gefahr nicht nur bei direktem Kontakt. Der Bund stellt jetzt 100 Millionen Euro für ein Pilotprojekt zur Bergung zur Verfügung.
Bomben, Minen und Granaten - alte Kriegsmunition gebe es viel in Nord- und Ostsee, sagt Jens Greinert bei einer Vorstellung des Projekts sustainMare an der Universität Kiel. Denn die Alliierten hätten Angst vor einem deutschen Partisanenkrieg gehabt. "Die haben also Deutschland massiv schnell demilitarisiert, indem sie Munition einfach ins Meer geschmissen haben", so der Meeresforscher vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.
In der Folge gibt es enorme Mengen an Altlasten in den deutschen Gewässern. Auf insgesamt 1,6 Millionen Tonnen kommen Schätzungen. Davon liegen etwa 1,3 Millionen Tonnen in der Nordsee und 300.000 Tonnen in der Ostsee. Zur Veranschaulichung erklärt Greinert: "1,6 Millionen Tonnen sind äquivalent zu 400.000 großen afrikanischen Elefanten. Wenn Sie die hintereinanderstellen, ist das einmal Kiel - München - Kiel. Also das ist die Gesamtmenge Metall und Explosivstoffe, die da liegt."
Gefahren beim direkten Kontakt
Um diese enormen Mengen zu entfernen, stellt der Bund Hilfen in Aussicht. "Der Ozean ruft jetzt um Hilfe und wir müssen handeln", sagte Bundesumweltministerin Steffi Lemke bei einem Besuch in Kiel. Mit im Gepäck hatte sie 100 Millionen Euro für ein Pilotprojekt zur Bergung alter Kriegsmunition in den deutschen Meeren. Die eigentliche Bergung dürfte diese Kosten noch wesentlich überschreiten.
Denn die Altlasten können zum Problem werden: zum Beispiel wenn Offshore-Windparks oder sonstige Anlagen im Meer gebaut werden oder Wasserstraßen ausgeweitet werden sollen. In solchen Fällen muss immer zunächst nach alter Munition gesucht werden, die sonst potentiell gefährlich werden könnte. Auch zufällige Funde am Strand können für die Strandbesucher eine Bedrohung darstellen.
Krebsauslösende Stoffe
Es gibt aber auch indirekte Gefahren. Denn einige der Stoffe, die in der Munition verbaut wurden, können Krebs auslösen. Darunter das TNT. Rosten die Hüllen, können diese Stoffe aus der Munition ins Meer gelangen. Muscheln zum Beispiel sind teilweise schon stark mit den krebsauslösenden Stoffen belastet. Fische in unmittelbarer Nähe großer alter Munitionsbestände haben viel häufiger Tumore in der Leber als Fische, die weiter entfernt vorkommen.
Für uns Menschen, die Fische essen, sei das aber noch kein Problem, sagt Forscher Greinert: "Diese absoluten Konzentrationen sind immer noch nicht so hoch, dass sie, wenn sie jetzt eine Scholle essen, sofort tot umfallen." Sieben Kilogramm Meeresfrüchte pro Tag müsse man über ein Jahr essen, damit die Mengen relevant würden. "Noch können Sie den Fisch essen", so Greinert.
Dennoch sollte das Thema angegangen werden. Denn nach und nach werden die Hüllen poröser. Immer mehr der schädlichen Stoffe treten nach außen. Greinert erklärt die Dringlichkeit anhand eines Blickes auf die fiktive Uhr: "Bei der Munitionsthematik sind wir so Viertel nach elf. Beim Klima sind wir Viertel vor zwei, da sind wir schon völlig drüber hinausgeschossen." Ein wenig Zeit könne man sich also noch lassen, "aber mehr als zehn Jahre haben wir da auch nicht", schätzt er.
Pilotstudie in der Ostsee
In der Pilotstudie forschen Greinert und seine Kolleginnen und Kollegen daran, wie die Altlasten bestmöglich geborgen werden können. Zunächst wollen sie eine Entsorgungsplattform in der Ostsee bauen. Hier lagert zwar weniger alte Munition, doch durch einen geringen Wasseraustausch, können die Konzentrationen der schädlichen Stoffe in der Ostsee besonders hoch werden.
Ab 2030, so die Hoffnung, könnte dann großflächig mit der Räumung begonnen werden. Allerdings müssen sich Bund und Länder an Nord- und Ostsee noch einigen, wer wie viel der wahrscheinlich hohen Kosten übernimmt.
Dann könnte die schleswig-holsteinische Ostsee die erste Region weltweit werden, die komplett von Kriegsmunition geräumt ist. Und das schon bis zum Jahr 2040, schätzt Forscher Greinert. "Und das wäre ja ein wirklich mal nachhaltiges Ziel mit einer finalen Lösung. Das Thema kommt danach nicht wieder. Es ist weg. Ich habe etwas wirklich weggeräumt. Ist ja mal was Schönes", so Greinert.