Wissenschaft in Comics Wenn Forscher in Sprechblasen reden
Ob Atomkraft oder Klimawandel - die Szene der Comiczeichner hat diese Themen für sich entdeckt. Gerade trifft sie sich zum Münchner Comicfestival. Auch Forscher nutzen das Medium, um ihre Inhalte zu erklären.
Es geht hier nicht um Daniel Düsentrieb, den umtriebigen Tüftler aus Entenhausen, oder Tony Stark, den als Iron Man bekannten Forscher aus dem Marvel-Universum. Und auch Professor Bienlein, der zerstreute Professor aus Tim und Struppi spielt hier keine Rolle. Es geht um ernsthafte Wissenschaft, um die Vermittlung neuer Erkenntnisse, um die Verbreitung wichtiger Themen für eine breitere Öffentlichkeit - in und mit Hilfe von Comics.
Als der US-Amerikaner Scott McCloud vor 30 Jahren erstmals seinen Comic "Understanding Comics" veröffentlichte, war das eine große Überraschung. Ein Meta-Comic quasi - ein Comic, der erklärt, wie man Comics richtig liest. In der Folge veröffentlichte McCloud weitere Comics, die sich auf der Erklärebene dem Thema Comics widmeten. Und er eröffnete damit die Möglichkeit, mit Comics nicht nur zu unterhalten, sondern auch fundierte, analytische Informationen zu vermitteln - eben am Beispiel des Comics.
"Understanding Comics" von Scott McCloud gilt als ein Meilenstein der Science Comic Geschichte.
Vom Meta-Comic zum Science Comic
"Im Bereich der Comicforschung ist 'Understanding Comics' wohl das einschlägigste Beispiel eines so genannten Wissenschaftscomics", meint Véronique Sina, Film- und Medienwissenschaftlerin an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. "Als Abhandlung über die Funktionsweise des Mediums ist das Buch konsequent in Comicform gestaltet."
McCloud wurde später der "McLuhan des Comics" genannt - in Anlehnung an den kanadischen Philosophen und Medienwissenschaftler Marshall McLuhan, der mit seiner zentralen These "Das Medium ist die Botschaft" bekannt wurde.
Kooperation zwischen Comiczeichnern und Wissenschaflern
Mittlerweile arbeiten Comiczeichner immer öfter direkt mit Wissenschaftlern zusammen - etwa im Rahmen des von Charlotte Schallié an der Universität von Victoria in Kanada geleiteten Forschungsprojektes "Narrative Art and Visual Storytelling in Holocaust and Human Rights Education". In diesem Projekt ist das Buch "Aber ich lebe. Vier Kinder überleben den Holocaust" entstanden.
Darin setzen drei international bekannte Künstlerinnen, darunter die Münchnerin Barbara Yelin, die Erinnerungen von Kindern aus der Zeit des Nationalsozialismus um. Sie beschreiben Erlebtes aus dem Konzentrationslager, auf der Flucht oder aus Verstecken in den Niederlanden. Wissenschaftliche Texte zu den historischen Hintergründen ergänzen das Buch.
Der Band "Aber ich lebe" setzt sich mit dem Holocaust auseinander.
Themenwandel: Von Geschichte zu Informatik
Im September 2022 hat die Ruhr-Universität in Bochum einen ersten Comic veröffentlicht, der sich mit Fragen der IT-Sicherheit beschäftigt. Annika Gödde vom Excellenzcluster CASA (Cyber Security in the Age of large-scale Adversaries - Cybersicherheit im Zeitalter großer Gegner) erklärt: "Unsere Forschung soll nicht im Elfenbeinturm betrieben werden. IT-Sicherheit ist ein gesellschaftlich sehr wichtiges Thema, das - gerade aktuell mit Blick auf die Hackerangriffe auf Unternehmen oder Krankenhäuser - immer relevanter wird."
Dennoch werde es häufig als ein hochkomplexes und kompliziertes Thema wahrgenommen, bei dem Menschen Berührungsängste hätten, sagt Gödde. "Die Comics bieten eine kreative und spielerische Möglichkeit, einen Einblick in IT-Sicherheit und unsere Forschung zu bekommen."
Den Comic selbst - der online abrufbar ist - lassen die Bochumer Wissenschaftler in enger Absprache von einer Berliner Agentur erstellen. Darin wird die Welt der Kryptographie erklärt. Ein kleiner, hungriger Fuchs folgt am Ende eines kalten Winters dem Geruch frisch gebackener Plätzchen (Cookies!). Auf seinem Weg zum Fressen muss er verschiedene Pfade beschreiten und durch Hintertüren schlüpfen. IT-Sicherheit wird hier auf ganz einfache, bildhafte Weise vermittelt.
"Die Comics zeigen das Spektrum der Challenges, an denen unsere Wissenschaftler forschen", so Gödde. "Da wir jedoch nur eine begrenzte Anzahl an Seiten haben, geben wir den Lesern die Möglichkeit, sich weiterführend auch mit den wissenschaftlichen Papern zu beschäftigen."
Comiczeichner begleiten Konferenzen
Das Interesse an den Comics ist so groß, dass die Hefte mittlerweile nachgedruckt werden mussten. Und das, obwohl die Comics auch als Download und als Flipbook auf der Website angeboten und stark geklickt werden.
Der Comic gewinnt immer mehr an Popularität, meint die Frankfurter Medienwissenschaftlerin Sina. Daher scheine es nur konsequent, diese mediale Form auch verstärkt zur Vermittlung von wissenschaftlichen Inhalten zu nutzen.
"Ich beobachte eine zunehmende Zusammenarbeit von Forschung und künstlerischer Praxis", sagt Sina, So würden bispielsweise im Bereich des sogenannten Graphic Recordings Comickünstler zu wissenschaftlichen Tagungen oder Workshops eingeladen, um die Veranstaltung visuell zu begleiten und die präsentierten wissenschaftlichen Erkenntnisse in Comicform aufzuarbeiten und zugleich zu archivieren.
Aus Frankreich kommt "Welt ohne Ende", das sich mit der Klimakrise auseinandersetzt.
Klimawandel erklären
Besonders en vogue ist im Comic derzeit das Thema Klimawandel. Der bekannte französische Zeichner Christophe Blaine hat gemeinsam mit dem Klimaexperten Jean-Marc Jancovici den Comic "Welt ohne Ende" veröffentlicht. Darin beschreiben sie die Gründe für den Klimawandel und zeigen Möglichkeiten auf, die zur Verlangsamung der globalen Erwärmung führen können.
Auch der vor allem für seine Donald-Duck-Comics bekannte Norweger Arild Midthun hat sich dem Thema Klimawandel verschrieben. In seinem jüngsten Comic "Eva - Klima in der Krise", nutzt er die Figur der Influencerin Eva, um die Erderwärmung zu thematisieren. Gemeinsam mit dem Klimaforscher Bjørn Samset will er vor allem jüngeren Lesern die von den Vereinten Nationen skizzierten möglichen Zukunftsszenarien vermitteln.
Auch "Eva: Klima in der Krise" nimmt sich des Themas an. Es soll vor allem jüngeren Menschen das Problem näher bringen.
Wissenschaftliche Botschaften vermitteln
"Comics sind das perfekte Medium, weil sich Texte und Bilder gegenseitig unterstützen und weil man Geschichten erzählen kann", so Arild Midthun. "Bjørn und ich zeigen unserer Protagonistin Eva die Folgen ihrer Lebensweise und wollen, dass sie versteht, wer die Opfer des Klimawandels sind."
Die beiden erzählen das Thema mit Hilfe einer märchenhaften Erzählung, die in einer albtraumhaften Version von Ragnarök (einer nordischen Sage vom Weltuntergang) spielt. "Menschen neigen dazu, sich die Realität eher in Visionen von Gut gegen Böse, Held gegen Bösewicht vorzustellen, als in komplexen Systemen makroökonomischer Bewegungen und wechselnder geopolitischer Strategien", erklärt Midthun.
Im Anhang zeigen die Autoren die Folgen der Erderwärmung um jeweils zwei, drei und vier Grad auf - ein Thema, das dem Zeichner Midthun besonders am Herzen liegt: "Der Comic über Evas Entscheidungen, unsere mögliche Zukunft betreffend, ist mein kleiner Beitrag, den Klimawandel den Menschen näher zu bringen." Midthun wünscht sich eine Auseinandersetzung mit dem wichtigen Thema. Und so endet sein Comic mit dem Satz: "Alles weitere liegt in Deinen Händen."