Raumfahrt SpaceX und der Satellitenstau
Die Probleme des US-Unternehmens SpaceX mit seiner Falcon 9-Rakete führen zu einem Stau an der Startrampe. Flüge sind derzeit ausgesetzt. Betroffen ist auch ein Nanosatellit des Fraunhofer-Instituts.
Die Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik in Freiburg müssen sich in Geduld üben. Der Start ihres Satelliten ERNST (Experimentielle Raumfahrtanwendung basierend auf Nanosatellitentechnologie) verschiebt sich.
Stau an der Startrampe
Eigentlich hätte der Satellit am vergangenen Donnerstag mit einer SpaceX-Rakete in den Weltraum gebracht werden sollen. Die technischen Probleme bei SpaceX hatten aber dazu geführt, dass die US-Luftfahrtbehörde FAA die Falcon 9-Rakete vorläufig mit einem Startverbot belegt. Der Zeitplan für Raketenstarts, die Satelliten ins All bringen sollen, ist damit durcheinandergewirbelt, auf unabsehbare Zeit, wie Martin Schimmerohn, der Projektleiter von ERNST, erklärt.
"SpaceX versucht wegen der hohe Taktung von Starts so schnell wie möglich eine Zulassung für den nächsten Falcon 9-Start zu erhalten. Wir erwarten weitere Verzögerungen, weil dann zunächst der Start von SpaceX-eigenen Starlink-Satelliten vorgezogen wird, um das Risiko für die anderen Kunden zu minimieren", so Schimmerohn.
Die Verschiebung des Raketenstarts, der den Fraunhofer-Satellit ins All bringen soll, sorge für Folgeprobleme, erklärt Schimmerohn, da sich inzwischen die Batterie des Satelliten beträchtlich entladen habe. Zwar könnten die Solarpanels des Satelliten die Batterie später im All wieder aufladen, aber man möchte vermeiden, dass die tiefentladene Batterie Schaden nehme.
Darum ist ein Mitarbeiter des Instituts in die USA geflogen, um die Batterie wieder aufzuladen. "Wir haben relativ kurzfristig Bescheid bekommen und dann gab es ein kleines Zeitfenster, in dem mein Kollege auf die Vandenberg Space Force Base durfte, zusammen mit anderen Herstellern von Kleinsatelliten." Das Aufladen hat funktioniert, die Batterie hat wieder Saft.
Folgen für die Raumfahrt
Ursprünglich wollten die Fraunhofer-Wissenschaftler ihren Satelliten mit einem anderen US-Raketenbauer starten. Der hatte aber technische Probleme und darum buchte man sich bei SpaceX von Unternehmer Elon Musk ein: "Eigentlich führt momentan bei kommerziellen Starts kein Weg an SpaceX vorbei", erklärt Schimmerohn.
Das Unternehmen habe ein cleveres Geschäftsmodell, da sie ihre Starts wegen der hohen Taktung vergleichsweise günstig anbieten können. SpaceX startet regelmäßig Raketen in den Weltraum, da das Unternehmen auch die Flotte eigener Tausender Starlink-Satelliten ins All bringt.
Von der aktuellen Verschiebung ist auch die Europäische Weltraumagentur (ESA) betroffen. Auf dem Transporter 11-Flug von SpaceX ist nicht nur der ERNST-Satellit gebucht, sondern auch der Arctic Weather-Satellit der ESA. Das bestätigte die Europäische Weltraumagentur tagesschau.de auf Anfrage.
Durch die aktuellen Probleme könnten auch SpaceX- Flüge zur ISS, die in den nächsten Monaten stattfinden sollen, wackeln. Das hätte bislang noch unabsehbare Folgen, denn sowohl Fracht als auch Astronauten sollten so zur Internationalen Raumstation gebracht werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass auf der ISS noch zwei Astronauten sind, die mit der neuen Raumkapsel Starliner von Boeing ins All geflogen waren. Wegen technischer Probleme kann die Kapsel derzeit nicht zur Erde zurückfliegen. Momentan ist die ISS mit bemannten Flügen nur von aus Russland erreichbar.
SpaceX und seine Monopolistenrolle
Mit den aktuellen Problemen beginnt sich zu rächen, dass SpaceX in den vergangenen Jahren zu einem der Hauptanbieter von Raketenstarts geworden ist. Mit dem erfolgreichen Erststart der Ariane 6-Schwerlastrakete ist Europa gerade erst dabei, sich einen eigenen Zugang zum Weltraum wiederherzustellen. Der Bedarf an kostengünstigen Raketenstarts ist immens. Immer mehr Satelliten werden ins All gebracht.
Matthias Wachter, der beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) für den Bereich Weltraum zuständig ist, rechnet vor: "Es gibt Prognosen, die davon ausgehen, dass bis 2030 etwa 20.000 Satelliten neu ins All gestartet werden. Das sind mehr Satelliten als in den vergangenen 50 Jahren zusammen."
Raketenstartplatz in der Nordsee
Darum setzt sich der BDI schon länger für eine Startplattform für kleine Trägerraketen in der Nordsee ein, um Europa unabhängiger von ausländischen Startplätzen zu machen. Vor einigen Jahren habe Europa in der Zusammenarbeit noch auf Russland gesetzt. "Das hat sich rückblickend als ein schwerer Fehler herausgestellt. Wir haben vor einigen Jahren selbst noch Militärsatelliten aus Russland gestartet. Mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine wurde diese Zusammenarbeit richtigerweise beendet. Und die Folge war und ist, dass Europa seinen souveränen Zugang zum All temporär verloren hat."
Von einer Plattform in der Nordsee könnte Deutschland selbst Satelliten starten. Der Startplatz ist im Aufbau, der Erststart hätte in diesem Monat erfolgen sollen, ist aber verschoben worden. Als Grund für die Verschiebung teilte der Bremer Raumfahrtkonzern OHB mit, dass es Probleme mit behördlichen Genehmigungen gebe.
Die Politik ist gefordert
Raumfahrtexperten fordern von der Politik schon lange ein deutsches Weltraumgesetz, was einfach und schlank ist, Bürokratie minimiert und Raumfahrtakteure animiert, an dem Standort Deutschland zu investieren, statt sich auf SpaceX zu verlassen. Der ehemalige Astronaut Ulrich Walter sagt: "Ein Weltraumgesetz wird von der Bundesregierung seit Jahren versprochen, aber es gibt immer noch keins. Raumfahrt ist in Deutschland ein ungeliebtes Kind."
Ein solches Gesetz würde beispielsweise Haftungsfragen klären. Ulrich Walter gibt ein Beispiel: "Eine aufsteigende Rakete explodiert und ein Bruchstück schlägt auf ein Schiff ein, das dort nicht sein dürfte, sich aber nicht an die Sperrung gehalten hat. Das Schiff wird beschädigt. Wer haftet für den Schaden?"
Mission mit militärischem Interesse
Auch die Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut in Freiburg könnten sich, wenn die Preise stimmen, vorstellen, aus der Nordsee zu starten. Kurze Wege, keine Zollformalitäten - eine Startplattform in der sogenannten Ausschließlichen Wirtschaftszone Deutschlands hätte viele Vorteile.
Martin Schimmerohn wünscht sich "eine klare Strategie der Bundesregierung unterfüttert mit Budgets". Im Fall des ERNST-Satelliten wäre ein Start vor der eigenen Haustür noch aus einem anderen Grund erwägenswert. Der Satellit ist in heikler Mission unterwegs. Das Bundesministerium für Verteidigung teilt auf tagesschau.de-Anfrage mit: "ERNST ist ein Forschungssatellit der Fraunhofer-Gesellschaft. Die Finanzierung dieser Forschung ist durch die Bundeswehr erfolgt."
Der Satellit hat eine Infrarotkamera an Bord und soll drei Jahre lang testweise vom Weltraum aus Raketenstarts auf der Erde erkennen. Schimmerohn erklärt: "Wenn eine Rakete startet, stößt sie einen sehr heißen Abgasstrahl aus, den sie hinter sich herzieht. Den detektieren wir. Wir schauen im mittleren und kurzwelligen Infrarot, da sehen wir speziell höhere Temperaturen."
Das bedeutet: Der Satellit könnte zu einem frühen Zeitpunkt erkennen, wenn feindliche Raketen Richtung Deutschland starten. Damit könnte der Satellit beziehungsweise ein Folgemodell als Teil einer ganzen Flotte für das Militär interessant sein.
Ihn aus den USA mit einem privaten Unternehmen zu starten, ohne Einfluss auf Zeitpläne und Verschiebungen, ist vermutlich nicht in deutschem Interesse. Die Batterie des Satelliten ERNST hält jetzt weitere drei Monate. Bis dann sollte SpaceX seine Probleme behoben haben.