Angriff in Aschaffenburg Kritik an Merz' Asyl-Äußerungen
"Praxisuntauglich", "gegen internationales Recht", "nicht umsetzbar": An den Äußerungen von Unions-Kanzlerkandidat Merz nach dem Messerangriff in Aschaffenburg gibt es Kritik. Die kommt nicht nur von anderen Parteien.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat die Union nach der Messerattacke von Aschaffenburg vor Stimmungsmache im Wahlkampf gewarnt und Forderungen von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz nach faktischen Einreiseverboten zurückgewiesen. "Punktekataloge, vermeintlich starke Worte, schnelle Forderungen werden weder dem Leid der Opfer noch den trauernden Eltern, Angehörigen und Freunden gerecht", sagte Mützenich der Augsburger Allgemeinen. "Auf jeden Fall warne ich davor, vollmundige Ankündigungen zu machen, die nicht nur praxisuntauglich sind, sondern auch gegen internationales Recht verstoßen", betonte der SPD-Politiker.
"Nach dem schrecklichen Attentat in Aschaffenburg muss es zweifellos eine schonungslose rechtliche, praktische und politische Aufarbeitung geben", sagte er. Im Vordergrund stehe, was bei der nicht erfolgten Abschiebung schiefgelaufen sei und warum die bekannten Verhaltensauffälligkeiten des Täters nicht zu ausreichenden Maßnahmen zum Schutz der Öffentlichkeit geführt haben. "Immerhin wurden die Gesetze erst vor Kurzem verschärft", erklärte Mützenich mit Blick auf die nach der Messerattacke von Solingen getroffenen Maßnahmen.
"Wenn sich dennoch herausstellen sollte, dass rechtlich nachgeschärft werden muss, dann können wir das noch vor der Wahl tun", betonte Mützenich. "Dazu brauchen wir dann aber auch eine verantwortungsvolle Opposition und die Mitwirkung der Länder."
Merz: Deutlich schärfere Asylpolitik
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hatte nach der Gewalttat von Aschaffenburg weitreichende Verschärfungen in der Asylpolitik angekündigt, sollte er zum Kanzler gewählt werden. Demnach will er am ersten Tag im Amt das Innenministerium anweisen, alle Grenzen dauerhaft zu kontrollieren und ein "faktisches Einreiseverbot" für alle Menschen ohne gültige Papiere durchzusetzen - auch solche mit Schutzanspruch. Ausreisepflichtige Menschen sollen zudem bis zur Abschiebung in Gewahrsam genommen werden.
Rehlinger warnt vor nationalem "Alleingang"
Die Ministerpräsidentin des Saarlands, Anke Rehlinger, warnte Merz vor einem nationalen Alleingang in der Migrationspolitik. "Wir brauchen eine gemeinsame europäische Asylpolitik", sagte die SPD-Politikerin dem Magazin stern. Es müssten anwendbare Lösungen im Rahmen des europäischen Asylsystems gefunden und die europäischen Außengrenzen gemeinsam besser geschützt werden. Rehlinger warnte Merz davor, "jetzt innerhalb des Schengen-Raums Forderungen zu stellen, die die Errungenschaften eines Europas ohne Binnengrenzen zunichte machen könnten".
GdP: "Tausende Kollegen mehr nötig"
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält flächendeckende Kontrollen und Zurückweisungen an den deutschen Grenzen für nicht durchsetzbar. "Wir haben eine Länge von 3.800 Kilometern Binnengrenzen. Wir sind mit der Art und Weise der Grenzkontrollen, die wir jetzt schon betreiben, am Rande des Machbaren", sagte der GdP-Vorsitzende für den Bereich Bundespolizei, Andreas Roßkopf, dem MDR.
Für die Pläne von Merz seien "nicht nur Hunderte, sondern Tausende Kollegen mehr" nötig. Dass Merz alle Flüchtlinge ohne gültige Dokumente zurückzuweisen wolle, sei deshalb "nicht umsetzbar", sagte Roßkopf. Neue Beamtinnen und Beamte müssten auch erst ausgebildet werden, was zwischen zweieinhalb und drei Jahren dauere. Nötig seien aus seiner Sicht auch Investitionen in moderne Hilfsmittel wie Drohnen- und Kennzeichenerfassungstechnik.
Banaszak fordert Klarstellung
Grünen-Chef Felix Banaszak forderte von Merz eine Klarstellung seiner Forderung nach Asylrechtsverschärfungen. Merz hatte deutlich gemacht, dass es sich dabei um eine Bedingung für mögliche Koalitionspartner handele, und hatte gesagt: "Mir ist es völlig gleichgültig, wer diesen Weg politisch mitgeht."
Koalitionsbedingungen "so en passant" zu formulieren, werde der Lage nicht gerecht, sagte Banaszak im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF. Merz könne nicht auf der einen Seite sagen, es werde keine Zusammenarbeit mit der AfD geben - das habe der CDU-Chef kürzlich in seinen Augen sehr glaubwürdig wiederholt - "und dann an der Stelle sagen, 'Aber jetzt ist mir egal, mit welchen Mehrheiten'". Banaszak verwies auf die Reaktion von AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel, die nach Merz' Äußerungen unter anderem in einem offenen Brief an ihn appellierte, in der Migrationspolitik zusammenzuarbeiten.
Scholz: "Vollzugsdefizit" bei bayerischen Behörden
Zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz den bayerischen Behörden Versäumnisse bei der Umsetzung bestehender Asylregeln vorgeworfen. "Es gibt offensichtlich Vollzugsdefizite, insbesondere in diesem Fall bei den bayerischen Behörden, die ein großes Problem sind", sagte der SPD-Politiker.
Er verwies darauf, dass die Bundesregierung Maßnahmen ergriffen habe, um Abschiebungen zu erleichtern. "Die Regierung wird alles dafür tun, dass wir den Kurs fortsetzen, den wir eingeschlagen haben", sagte der Kanzler. "Aber es gibt erkennbar ein erhebliches Vollzugsdefizit. Und deshalb muss es jetzt aufhören, dass nicht alle alles tun dafür, dass man diejenigen, die nicht hier bleiben können, hier nicht auch zurückführt."
"Dublin-Center" als Reaktion
Auch Innenministerin Nancy Faeser hatte die bayerische Landesregierung kritisiert. Offenbar seien dort "einige Dinge schiefgelaufen". Insofern sei "die Reaktion der Bayern befremdlich". Sie erwarte, dass "die Abschiebungen, für die die Länder zuständig sind, auch passieren", sagte die SPD-Politikerin. Es brauche vor allem mehr Konsequenz in der Durchsetzung, der Rechtsstaat müsse mehr Härte zeigen.
Als Konsequenz der Tat von Aschaffenburg kündigte die Ministerin zwei Maßnahmen an: Zum einen sollen Teile der GEAS-Reformen vorgezogen werden. Dabei geht es um das neue Gemeinsame Europäische Asylsystem, eine Asylrechtsverschärfung, die die EU im vergangenen Jahr beschlossen hatte. Zudem will Faeser sogenannte Dublin-Center schaffen, um Fälle von Menschen zu sammeln, die bereits in anderen Ländern Asyl beantragt haben und die es deshalb nicht noch in Deutschland tun können. Unter anderem sollten diese Menschen in Deutschland keine Leistungen mehr erhalten.
Kritik am "Verantwortungs-Pingpong"
Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Dirk Pegelow, kritisierte bei tagesschau24 das "Verantwortungs-Pingpong" zwischen verschiedenen Behörden auf Bundes- und Landesebene. Die Debatte sei für die Angehörigen der Opfer ein "schwerer Vorgang, der kaum zu verstehen ist". Es brauche eine bessere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden untereinander sowie mit Sozialbehörden und Psychotherapeuten, insbesondere bei straf- und gewalttätigen Personen mit psychischen Auffälligkeiten. Die Polizei könne nur ein Teil eines notwendigen "Bedrohungsmanagements" sein.
Sonder-Innenministerkonferenz
Um über Konsequenzen aus dem Angriff in Aschaffenburg zu beraten, soll am Montag eine Sonderkonferenz der Innenminister stattfinden. Der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD), der aktuell den IMK-Vorsitz innehat, hat die Innenministerinnen und -minister der Länder sowie Bundesinnenministerin Faeser zu dem Treffen eingeladen. Bei der Konferenz soll es auch um den Umgang mit psychisch kranken Straftätern gehen.