Bundestagswahl 2025

Robert Habeck
Porträt

Grünen-Kandidat Robert Habeck Er will die "Merkel-Lücke" füllen

Stand: 23.01.2025 09:23 Uhr

Als Ampel-Partner mutete Grünen-Spitzenkandidat Habeck seiner Partei viele Kompromisse zu. Im Wahlkampf setzt er auf die bürgerliche Mitte, die "Merkel-Lücke". Kann er sie füllen?

Von Tina Handel, ARD-Hauptstadtstudio

Chips auf dem Tisch, das alkoholfreie Flaschenbier in der Hand: "Moin! Wo muss ich reingucken?", fragt Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck, als er Mitte Januar das erste Mal bei einem Twitch-Kanal zu Gast ist. Es geht um Ostfriesenwitze, Biersorten, aber auch um artgerechte Tierhaltung. Habeck trägt eine schwarze Bomberjacke und stellt die Grünen als "cool, aber bisschen freaky" vor.

Grüne Herzen fliegen durch den Gamer-Chat. Kritik hält sich in Grenzen. "Nehmt mir nicht mein Schnitzel", ist schon einer der schärferen Kommentare. Es ist ein Termin wie Habeck ihn mag in diesem Wahlkampf. Er kann sich als Anti-Politiker präsentieren. Als einer, der anders redet, direkter und zugänglicher ist - genau das ist sein Markenzeichen, seit seine politische Karriere vor mehr als 20 Jahren in Schleswig-Holstein begann.

Die Chancen, diesen Habeck-Ton zu setzen, sind seltener geworden in den vergangenen Regierungsjahren. Seit Russland seinen Angriffskrieg auf die ganze Ukraine gestartet hat, ist Habeck mit knallharter Realpolitik konfrontiert. Die Bilanz seiner Amtszeit: gemischt.

Spitzenkandidaten im Porträt
Auf tagesschau.de wird es für jeden der Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl ein Porträt geben: Olaf Scholz, Friedrich Merz, Robert Habeck, Alice Weidel, Christian Lindner, Heidi Reichinnek und Jan van Aken sowie Sahra Wagenknecht.

Wirtschaftsminister in Krisenzeiten

Als im Frühjahr und Sommer 2022 die Angst umgeht vor kalten Wohnungen und Energierationierung im kommenden Winter, muss Habeck neue Gaslieferanten finden. Die Bilder seiner Reise nach Katar inklusive Verbeugung vor der dortigen Machtelite, werden zum Symbol für einen Grünen, der Ideale unterordnen muss: ein "Bückling", der im eigenen grünen Lager für Kritik sorgt, aber zugleich hilft, Deutschland unabhängig zu machen von Russlands Gas.

Eine von Habecks größten Herausforderungen in diesem Wahlkampf: Er ist Wirtschaftsminister inmitten einer Wirtschaftskrise. Und dann kommt noch Ballast aus der Ampel-Zeit dazu: Noch immer verbinden viele mit ihm das sogenannte Heizungsgesetz aus dem Jahr 2023. Fossile Heizungen sollen schrittweise raus, klimafreundliche rein - so der Plan.

Doch viel zu lange ist damals die Frage offen, welche Zumutungen damit genau verbunden sind: Wie streng ist der Plan? Welche Förderungen gibt es? Vor allem bei Hausbesitzern gehen Ängste um. Die Grünen nehmen das zu lange nicht wahr, liefern keine konkreten Antworten. "Ich bin zu weit gegangen", sagt Habeck später selbst über das Heizungsgesetz.

Auf fehlende Details folgt viel Krisenkommunikation

Die Frage, ob die Fehler damals wirklich reflektiert wurden, stellt sich in diesem Wahlkampf erneut. In einem ARD-Interview fordert Habeck Sozialabgaben auch auf Kapitalerträge wie Aktien- oder Zinsgewinne. So wolle man immer höhere Gehaltsabzüge etwa für die Krankenversicherung verhindern. Der Interview-Moment wirkt beiläufig. Die Passage steht seit Jahren in grünen Wahlprogrammen, ohne dass jemand nachgefragt hätte.

Aber: Auch hier liefert Habeck keine Details. Wie hoch wären Freibeträge? Wen will man damit treffen, wen verschonen? Ohne solche wichtigen Punkte ist der Vorschlag unsozial und wird massiv kritisiert. Tagelang ist die Partei in der Krisenkommunikation, schiebt Erklärvideos in sozialen Medien nach. Aber der Grundfehler bleibt: Die Partei unterschätzt das Aufregerpotenzial solcher Themen und fängt berechtigte Ängste nicht auf.

Die Merkel-Lücke füllen

Die Abgaben auf Kapitalerträge sind eines der wenigen linken Themen, mit denen Habeck im Wahlkampf sichtbar ist - und das auch eher ungewollt. Denn eigentlich ist es sein Ziel, das bürgerliche Lager anzusprechen. Er stellt sich die Grünen vor als "eine Partei aus der Mitte heraus, die dieses Vakuum nach Angela Merkel nicht einfach leer lässt, sondern dahin geht". So formuliert er es in einem Radiointerview im Sommer 2024.

Die Merkel-Lücke füllen, das klingt nach Schwarz-Grün. Und das klingt nach den vielen Kompromissen, die Habeck schon in den vergangenen Jahren seiner Partei zugemutet hat: Die Atomkraftwerke liefen ein paar Monate länger. Die Kohle unter dem Dorf Lützerath darf abgebaggert werden. Stets begründet wurde das mit der sicheren Energieversorgung.

Immer wieder Kompromisse finden

Kompromisse sind der Kern von Habecks Politikverständnis. Das spannt den Bogen zurück nach Schleswig-Holstein, wo er in seiner Zeit als Landesminister genau für diese Kompromissfähigkeit gelobt wurde. Bauern oder Muschelfischer - nicht direkt die grüne Kernklientel - konnte er durchaus für sich einnehmen.

Unbedingte Kompromissfähigkeit fordert Habeck auch von der eigenen Partei. Flexibel sein, mit fast allen koalieren können - das war ein grüner Lernprozess der vergangenen Jahre. Für manche sieht das aus wie Beliebigkeit. "Habeckismus" wurde das von Skeptikern schon genannt.

Viel Zulauf im Wahlkampf

Ob in Schleswig-Holstein oder Berlin - bislang ist ihm die Partei, trotz einiger turbulenter Parteitagsmomente, stets gefolgt. Die Mitgliederzahlen sind in die Höhe geschnellt. Bei Wahlkampfauftritten stehen die Leute Schlange. Doch was aus Habeck und seinem Leitbild wird, wenn die Grünen bei dieser Wahl schlecht abschneiden, ist unklar.

Erst einmal diesen bislang durchwachsenen Grünen-Wahlkampf überstehen, das ist wohl Herausforderung genug. "Ich weiß nicht genau, was ich morgen machen muss", sagt Habeck am Ende seiner Twitch-Debüts nach zweieinhalb Stunden. Durchatmen, Handschlag, dann steht er auf. "Vergiss Deine Jacke nicht!", sagt der Moderator.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 8. November 2024 um 22:15 Uhr.