Bundestagswahl 2025

Alice Weidel
Porträt

AfD-Kandidatin Weidel Radikal mit bürgerlichem Anstrich

Stand: 24.01.2025 08:43 Uhr

Parteichefin Weidel gibt sich als das bürgerliche Gesicht der AfD. Doch beim Parteitag in Riesa zeigte sie erneut ihre Nähe zu Rechtsextremen. Wer ist die wahre Alice Weidel?

Von Julie Kurz, ARD-Hauptstadtstudio

Zurückgebundene Haare, klassische Bluse, Perlenkette - Alice Weidel gibt sich bewusst bürgerlich. Doch zuletzt hatte man mehr denn je den Eindruck, die Perlenkette sei die bürgerliche Hülle eines radikalen Kerns der AfD-Kanzlerkandidatin. Gestik, Mimik und Tonalität waren beim Parteitag in Riesa wütend-aggressiv, die Wortwahl hart.

Unter anderem verwendet Weidel nun den Begriff "Remigration", der zuletzt vor allem in rechtsextremen Kreisen genutzt wurde und den sie früher eher gemieden hatte. Spätestens seit ihrem Auftritt in Riesa stellt sich also die Frage: Wer ist die wahre Alice Weidel?

Spitzenkandidaten im Porträt
Auf tagesschau.de wird es für jeden der Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl ein Porträt geben: Olaf Scholz, Friedrich Merz, Robert Habeck, Alice Weidel, Christian Lindner, Heidi Reichinnek und Jan van Aken sowie Sahra Wagenknecht.

Wie neu ist der radikale Tonfall?

Sie ist eine der wohl rätselhaftesten Politikerinnen, voller Widersprüche, bei der vieles zunächst nicht zusammenpassen will. Ganz neu ist Weidels radikaler Tonfall jedoch nicht: Bereits 2018 sprach sie in einer Bundestagsrede von "Kopftuchmädchen" und "alimentierten Messermännern". Für die diskriminierenden Worte wurde sie vom damaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble gerügt.

In diesen Tagen erinnert man sich auch an eine E-Mail aus dem Jahr 2013, die offenbar der Zeitung Die Welt vorliegt und von Weidel stammen soll. Laut Welt bezeichnete sie in der Mail Regierungsmitglieder als "Schweine" und schrieb, Deutschland werde "von kulturfremden Voelkern wie Arabern, Sinti und Roma etc ueberschwemmt" (Schriftweise wie in der Mail).

Damals war Weidel noch nicht Mitglied der AfD. Doch schon damals klang das weniger nach bürgerlicher Perlenkette als nach radikalem Wutbürger oder gar "Reichsbürger"-Sprache. Weidels Anwälte sprachen von einer Fälschung. Eine eidesstattliche Erklärung wollte Weidel nicht abgeben.

Kalkül oder Überzeugung?

In ihrem Buch "Widerworte" beschreibt Weidel, wie ihre Lebenspartnerin sie mit den Worten "Schimpfe nicht nur" ermutigte, in die Politik zu gehen. Zunächst trat die Volkswirtin der AfD wegen der kritischen Haltung zum Euro bei.

Doch während sich die Partei schnell radikalisierte und viele gemäßigte Mitglieder nach und nach die Partei verließen, ist Weidel geblieben. Sie ist die Radikalisierung der Partei mitgegangen - sicherlich auch aus Opportunismus und Machtkalkül.

Weidel gilt als ehrgeizig. Sie hat schnell verstanden, dass sie in der Partei Karriere machen kann, dass ihr Auftritt, ihr Tonfall ankommt. Doch die Frage bleibt, ob es reiner Opportunismus ist, oder die Partei auch in ihrer Radikalität schlicht ihre politischen Heimat ist.

Höckes "wind of change"

Als Parteichefin setzt sie sich dafür ein, dass die AfD professioneller und glatter auftritt. Weniger radikal ist die Partei unter ihrer Führung allerdings nicht geworden - ganz im Gegenteil. Viele in der Partei wollen nicht gemäßigter auftreten und fühlen sich durch steigende Umfragewerte bestätigt.

Seit dem Parteitag scheint sich Weidel nun an die Spitze dieser Bewegung zu setzen - aus einem einfachen Grund: Weil sie es kann. Die Partei umweht momentan der Geist, dass ihr niemand etwas anhaben könne.

Rechte Parteien sind im Aufwind: Man blicke nach Österreich, wo die befreundete FPÖ möglicherweise bald den Kanzler stellt, oder nach Amerika zu Donald Trump. Björn Höcke spricht im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio von einem "wind of change", der durch die westliche Welt ziehe.

Und so jubeln auf dem Parteitag Delegierte ganz ungeniert der Kanzlerkandidatin der AfD zu - mit den Worten "Alice für Deutschland", was für nicht wenige doch sehr nach der SA-Parole "Alles für Deutschland" klingt. Höcke war zuvor bereits wegen des Ausrufs der in Deutschland verbotenen Parole verurteilt worden.

Schulterschluss mit Rechtsextremen

Höcke und Weidel: Es ist eine Beziehung, die auch viel über die Wendigkeit der Parteichefin selbst aussagt. Einst wollte sie Höcke aus der Partei ausschließen. 2017, als es in der Gesellschaft große Empörung über Höckes Rede gab, in der er das Berliner Holocaust-Mahnmal zweideutig "Denkmal der Schande" nannte.

Acht Jahre ist das her, nun spricht die AfD-Kanzlerkandidatin beim Parteitag in Riesa von "Windmühlen der Schande". Es klingt ziemlich nach Höcke-Duktus. Von der Bühne ruft sie dann noch im Hinblick auf die Thüringer Wahl: "Der echte Wahlsieger ist Björn Höcke." Der Thüringer AfD-Chef seinerseits lobte Weidels Rede: "Sie war empathisch, emotional und hat präzisiert, was wir wollen."

Der Schulterschluss mit den Rechtsextremen zeigt sich auch an der Präsenz von Götz Kubitschek auf dem Parteitag. Kubitschek gilt seit Jahren als zentraler Vernetzer der neurechten Szene, als Stratege, Vordenker und Wegbereiter gezielter Diskursverschiebungen.

Der Plan: Regierungsbeteiligung 2029

Das langfristige Ziel der AfD ist klar: Es lautet Regierungsbeteiligung im Jahr 2029. Dann stehen erneut Landtagswahlen im Osten und die nächste Bundestagswahl an. Es ist das Ziel der AfD und es ist auch Weidels persönlicher Plan. Bei dieser Wahl hat sie als Kanzlerkandidatin keine Aussicht auf Erfolg. Doch sie will regieren, am liebsten Kanzlerin werden. Und prophezeit, die Brandmauer gegen die AfD werde keinen Bestand haben.

Gerne inszeniert sich Weidel als disziplinierte, ehrgeizige Frau, die früh aufsteht und hart arbeitet. Doch ihr Fokus dürfte dabei vor allem auf der Strategie liegen, weniger auf dem direkten Kontakt mit den Wählern, auch wenn sie das so natürlich nie sagen würde. Offiziell sind Sicherheitsmaßnahmen der Grund für ihre geringen Wahlkampfauftritte - einer ihrer wenigen Auftritte ist in Halle am Wochenende.

Ihr Co-Parteivorsitzender Tino Chrupalla dürfte vor allem im Osten in den nächsten Wochen deutlich präsenter sein. Und doch, wenn beide Parteichefs in der Vergangenheit zusammen aufgetreten sind, sind die Schlangen für Selfies bei Weidel deutlich länger als bei Chrupalla.

Privatleben als Antithese zum AfD-Kurs

Alice Weidel ist seit jeher populär bei der Parteibasis - und das, obwohl ihr Lebensstil kaum etwas mit dem ihrer Partei und ihrer Anhänger gemein hat. Es ist das Paradoxon Alice Weidel. Sie ist das Gesicht der "Alternative für Deutschland" und verbringt ihr Privatleben mit ihrer Familie in der Schweiz. Die AfD propagiert ein traditionelles Familienbild aus Vater, Mutter und Kind, während Weidel selbst in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt, Kinder mit einer Frau hat.

Zudem wird die AfD vom Verfassungsschutz als in Teilen rechtsextrem eingestuft - auch wegen rassistischer Aussagen. Weidels Partnerin ist in Sri Lanka geboren. Weidels Privatleben wirkt in vielen Punkten wie eine Antithese zum AfD-Kurs.

Wenn Weidel darauf angesprochen wird, wiegelt sie ab. Sie steht zwar dazu, mit einer Frau verheiratet zu sein, betont aber, sie sei nicht queer. Für die Partei ist Weidel das perfekte Feigenblatt. Frei nach dem Motto: Eine Partei mit einer lesbischen Parteichefin könne gar nicht diskriminierend sein.

Aber was ist die Partei für Weidel? Für eine ehrgeizige Opportunistin wie sie mag die AfD ein geeigneter Ort sein, um Karriere zu machen. Es spricht jedoch auch vieles dafür, dass die Partei ihr schlicht politisch entspricht - Privatleben hin oder her.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 17. Januar 2025 um 13:07 Uhr.